Ein kostenloses Girokonto für alle muss her

15.01.2016
Caren Lay, DIE LINKE: Ein kostenloses Girokonto für alle muss her

Meine Damen und Herren! Herr Präsident!

Stellen Sie sich ein Leben ohne Girokonto vor. Die Schwierigkeiten fangen damit an, dass man an der Kasse eines Supermarktes bzw. eines Geschäftes nicht einfach mit der EC-Karte bezahlen kann. Man kann auch nicht einfach Geld überweisen und seine Rechnungen per Überweisung begleichen. Man bekommt keinen Handyvertrag und schon gar keine neue Wohnung.

Ein Girokonto ist in der modernen Welt einfach unverzichtbar, und ich finde, es ist ein Skandal, dass immer noch über 700 000 Menschen in Deutschland - Flüchtlinge bzw. Geflüchtete sind hier noch nicht eingerechnet - kein Girokonto haben. Insofern freuen auch wir uns, dass endlich ein Basiskonto für alle kommen soll. Das wird auch höchste Zeit.

Ich spreche an dieser Stelle nicht zum ersten Mal zu diesem Thema. Gestatten Sie mir deshalb einen kleinen Ausflug in die Geschichte der Debatte, die wir hier im Bundestag dazu geführt haben; denn das Recht auf ein Girokonto hätte es natürlich schon sehr viel früher geben können.

Die PDS hat hier im Bundestag 1994 zum ersten Mal ein Girokonto für alle gefordert. Die Linke hat seither sage und schreibe fünf Anträge gestellt, mit denen wir ein Recht auf ein Girokonto für alle gefordert haben. Alle diese Anträge wurden hier mit Mehrheit abgelehnt.

Die Argumente, die damals vor allen Dingen die Union ins Feld geführt hat, waren wirklich abenteuerlich. Es waren die übliche Vorurteile vor allen Dingen gegenüber uns Linken.

Das alles sei gegen den freien Markt, staatsfixiert usw.

Der ehemalige Kollege Leo Dautzenberg sagte zum Beispiel 2006: Das Girokonto für alle ist geradezu ein Beispiel dafür, dass der Staat nicht alles regeln kann und schon gar nicht besser regeln kann als die Wirtschaftsteilnehmer im Rahmen einer bestimmten Selbstregulierung.

Und der Kollege Brinkhaus entgegnete mir noch vor einigen Jahren an dieser Stelle zu diesem Thema: Es gibt kein Menschenrecht auf ein Girokonto. Meine Damen und Herren, ich finde schon. Und ich freue mich sehr, dass auch Sie heute, so hoffe ich, endlich zur Einsicht gekommen sind.

Es wurden zwar regelmäßig die Zahlen erhoben, wie viele Menschen in Deutschland ohne ein Girokonto sind. Man hat sich aber nicht dazu durchringen können, endlich gesetzlich verbindliche Regeln zu schaffen. Stattdessen hat man mit den Banken eine freiwillige Selbstverpflichtung ausgehandelt. „Freiwillige Selbstverpflichtung“ war jahrelang ‑ das ist es, glaube ich, bis heute ‑ die beliebteste Worthülse vor allen Dingen der Union in der Verbraucherpolitik, die eigentlich nur darüber hinwegtäuschen soll, dass man nicht in der Lage ist, verbindliche Regelungen gesetzlich zu verankern. Ich finde, wir brauchen verbindliche gesetzliche Regelungen für Menschen, die überschuldet sind, für obdachlose Menschen und für Geflüchtete. All jene haben das Recht auf ein Konto.

Auch dieses Mal sind Sie nicht so ganz allein auf diese Idee bzw. zur Einsicht gekommen. Im Gegenteil, es gibt eine EU-Richtlinie, die auch Deutschland dazu verpflichtet, dieses Recht noch in diesem Jahr umzusetzen. Also ‑ so gut es ist, dass es ein Basiskonto für alle geben wird ‑: Schmücken Sie sich an dieser Stelle bitte nicht mit fremden Federn!

Bei der Umsetzung gibt es leider einen Pferdefuß bzw. einen entscheidenden Nachteil: Das Konto soll nämlich nicht verbindlich kostenfrei oder gebührenfrei sein. Im Gegenteil, im Gesetzentwurf ist von marktüblichen Gebühren und Entgelten die Rede. Da schwant mir nichts Gutes. Einige Banken haben ja ein sogenanntes Bürgerkonto auf Grundlage dieser freiwilligen Selbstverpflichtung eingerichtet. Sie verlangen aber stattliche Gebühren in Höhe von 10 Euro im Monat. Es kostet also viel mehr als ein normales Girokonto, hat aber viel weniger Funktionen. Ich finde das wirklich unmöglich.

Es wäre möglich gewesen, bereits im Gesetzentwurf die Gebührenfreiheit des Kontos festzulegen oder zumindest die Gebühren zu deckeln. Dafür haben sich auch die Verbraucherschutzminister einstimmig ausgesprochen. Auch das Land Brandenburg hat dafür im Bundesrat gekämpft und gefordert, dass das Konto gebührenfrei sein soll oder dass die Kosten zumindest gedeckelt werden sollen. Leider hat das keine Mehrheit gefunden. Ich finde, das muss im Gesetzgebungsverfahren geändert werden.

10 Euro im Monat, meine Damen und Herren, mögen in diesem Hohen Hause vielleicht nicht als große Summe gelten. Für Menschen aber, die obdachlos, geflüchtet oder überschuldet sind, sind 10 Euro im Monat jede Menge Geld. Es wird sie im Zweifel davon abhalten, das Recht auf ein Girokonto in Anspruch zu nehmen. Das können wir so nicht stehen lassen. Ich bitte Sie wirklich eindringlich: Lassen Sie uns im Beratungsverfahren gemeinsam dafür sorgen, dass das Basiskonto für alle kostenfrei sein wird. Das sind wir den Betroffenen schuldig.

Vielen Dank.

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Die Wohnungsfrage ist die soziale Frage unserer Zeit. Doch statt sie anzugehen, werden Fehlentwicklungen systematisch politisch gefördert. Wohnungen sind zu reinen Spekulationsobjekten verkommen. Hohe Nachfrage und sogenannte Zwangssanierungen lassen die Mieten explodieren und zwar nicht nur in den Großstädten, sondern auch im Umland. Menschen werden aus jahrzentelang gewachsenen, sozialen Strukturen gerissen, gentrifzierte Viertel zu Soziotopen der Besserverdienenden. Wie konnte es soweit kommen? Warum unternimmt die Politik so wenig, um Mietenwahnsinn und Spekulation endlich zu stoppen? Und was muss getan werden, damit Wohnen endlich wieder bezahlbar wird? Caren Lay nimmt die deutsche Wohnungspolitik der letzten 20 Jahre schonungslos unter die Lupe, zeigt auf, wie und warum Deutschland zum Eldorado für Wohnungsspekulation werde konnte, und liefert provokante Ideen für eine soziale Wohnungspolitik, die wir so dringend brauchen.

Erschienen bei Westend / 160 Seiten Leseprobe

Über mich
Ich bin Bundestagsabgeordnete und Sprecherin für Mieten-, Bau- und Wohnungspolitik sowie für Clubpolitik.