Caren Lay und Armin Kuhn - Für die Mieter*innen hat niemand gekämpft

Die neubaufixierte Wohnungspolitik der Ampel löst die Mietenfrage nicht

13.01.2022
Caren Lay und Armin Kuhn

Der Bundestagswahlkampf war auch ein Mietenwahlkampf. Kaum eine Partei, die nicht beteuerte, Wohnen sei die soziale Frage unserer Zeit. Olaf Scholz war angetreten, «Kanzler für bezahlbares Wohnen» zu werden. Entsprechend hoch waren die Erwartungen vieler Mieter*innen. Zwar verspricht die Ampel, «dafür zu sorgen, dass jede und jeder eine bezahlbare Wohnung findet», doch der Koalitionsvertrag löst dieses Versprechen nicht ein. SPD, Grüne und FDP haben ihre Prioritäten abgesichert: 400.000 neue Wohnungen, mehr Klimaschutz und ein Bündnis mit der privaten Wohnungswirtschaft. Für die Mieter*innen hat dagegen niemand gekämpft. Auch die Einrichtung eines eigenständigen Bauministeriums kann darüber nicht hinwegtäuschen, erst recht nicht, wenn die FDP mit dem Justizministerium das Mietrecht verantworten wird. Im Kern wird es damit ein «Weiter so» einer marktorientierten, auf den Neubau fixierten Wohnungspolitik geben. Eine Kehrtwende hin zu einer Politik, die die Interessen der Mieter*innen zum Ausgangspunkt nimmt, ist auch nach zehn Jahren Mietenkrise nicht zu erkennen.

NEUBAUFIXIERTE POLITIK, SOZIALE AUSGEWOGENHEIT UNKLAR

Die zentrale wohnungspolitische Botschaft des Koalitionsvertrags lautet: 400.000 neue Wohnungen sollen jährlich entstehen – davon 100.000 öffentlich gefördert. Damit reiht sich die Ampelkoalition in den von Immobilien- und Bauwirtschaft angestimmten Chor ein, dass allein das «Bauen, Bauen, Bauen» Linderung auf angespannten Wohnungsmärkten verschafft. Sie will die Vorgängerkoalition noch übertreffen, die den Bau von 1,5 Millionen Wohnungen zugesagt hatte, am Ende allerdings mit unter 1,2 Millionen errichteten Wohnungen deutlich hinter ihrem Versprechen zurückblieb.

Mit ihren Wohnungsbauversprechen, mit der Ankündigung, ein breites «Bündnis bezahlbarer Wohnraum» zu schließen und mit einem eigenständigen Bauministerium, das mehr als 20 Jahre lang ein Dasein als Anhängsel von Verkehrs-, Umwelt- und zuletzt Innenministerium fristete, versucht die Ampel, einen Aufbruch zu inszenieren, der im Kern in der Fortführung bestehender Instrumente mündet. Schon die beiden Vorgängerregierungen hatten mit dem 2014 gegründeten «Bündnis für bezahlbares Bauen und Wohnen» und dem «Wohngipfel» im Jahr 2018 kaum nennenswerte Fortschritte erzielt.

Auch das – vor allem von der Immobilienwirtschaft – viel gelobte «Hamburger Modell», das Olaf Scholz als Hamburger Bürgermeister initiiert hat und nun auf die Bundesebene heben will, ist längst nicht so gut wie behauptet. Der seit 2011 beschleunigte Wohnungsbau im sogenannten «Drittelmix» (Sozialwohnungen, teure Mietwohnungen und Eigentumswohnungen zu jeweils gleichen Teilen) hat die Situation für Mieter*innen und Wohnungssuchende in Hamburg kaum verbessert. Die Mieten steigen weiter, die Wohnkostenbelastung der Haushalte liegt dort mit 31 Prozent höher als in München, Frankfurt am Main oder Berlin, und bei einer Lücke von fast drei Euro zwischen Angebots- und Bestandsmieten bleibt der Druck nachholender Mieterhöhungen groß.

Alle bisherigen Erfahrungen zeigen: Der Wohnungsbau allein kann die Mietenkrise nicht lösen. Zwar wurden in den vergangenen Jahren so viele Wohnungen gebaut wie lange nicht mehr. Trotzdem sind die Mieten weiter gestiegen – unter der letzten großen Koalition durchschnittlich um fünf Prozent im Jahr. Ein weiteres Problem ergibt sich dadurch, dass die soziale Ausgewogenheit der Neubaupolitik nicht garantiert ist. Nur ein Viertel der 400.000 neu gebauten Wohnungen soll «gefördert» werden und nicht alle «geförderten» Wohnungen werden Sozialwohnungen sein. Die Ampel verspricht, «die finanzielle Unterstützung des Bundes für den sozialen Wohnungsbau inklusive sozialer Eigenheimförderung fort[zu]führen und die Mittel [zu] erhöhen».1 Wie sie die Mittel aber auf die Eigenheimförderung und den sozialen Mietwohnungsbau verteilen will, wird nicht näher ausgeführt. Das lässt erahnen, dass mehr als drei Viertel der neu entstehenden Wohnungen für Menschen mit geringen und mittleren Einkommen voraussichtlich nicht bezahlbar sein werden. Damit geht der Neubau am realen Bedarf an günstigen Mietwohnungen in den Städten eindeutig vorbei.

Zuletzt wurden sogar nur etwa sieben Prozent aller neu gebauten Wohnungen als Sozialwohnungen errichtet, etwa 25.000 im Jahr. Das ist eine geradezu grotesk niedrige Zahl angesichts des ungedeckten Bedarfs an Sozialwohnungen, den das Pestel-Institut, ein Forschungsinstitut und Dienstleister für Kommunen, Unternehmen und Verbände, mit etwa fünf Millionen angibt.2 Durch das Prinzip der auslaufenden Sozialbindungen gibt es heute trotz Neubau um die 160.000 Sozialwohnungen weniger als zu Beginn der letzten Legislatur – nur noch etwa 1,1 Millionen bundesweit. Der Ampelkoalition wird es kaum gelingen, diesen Trend aufzuhalten, weil sie das Problem der auslaufenden Sozialbindungen nicht grundsätzlich angeht – jedenfalls gibt der Koalitionsvertrag keinen Hinweis darauf. Klar ist: Der soziale Wohnungsbau lässt sich nur mit einer deutlichen Erhöhung der Bundeszuschüsse und durch eine Umstellung auf dauerhafte Sozialbindungen retten. Die bisherige Fördersumme von gerade einmal einer Milliarde Euro im Jahr ist viel zu wenig.

Zu begrüßen ist: Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA), die zum Bundesministerium der Finanzen gehört, soll zukünftig auch selbst bauen und Schulden aufnehmen können. Das wäre eine positive Entwicklung, schließlich baute der Bund in der letzten Legislaturperiode gerade einmal 50 Wohnungen selbst. Auch die Tatsache, dass die nach der Bahnprivatisierung im Bundeseisenbahnvermögen eingelagerten, für den Bahnbetrieb nicht als notwendig erachteten Grundstücke in die BImA eingegliedert werden sollen, ist zu begrüßen. Doch auch hierzu sucht man im Koalitionsvertrag vergeblich nach konkreten Zielvorgaben. Die Formulierung, die BImA solle zukünftig «mehr Freiheiten» haben, lässt zudem aufhorchen, gerade weil die Zuständigkeit mit dem Finanzministerium an die FDP gehen wird. Vermutlich muss auch in Zukunft um jedes Grundstück gekämpft werden.

NEUE WOHNUNGSGEMEINNÜTZIGKEIT: AUFBRUCH, FEIGENBLATT, NISCHENPRODUKT?

Gerade vor dem Hintergrund des Niedergangs des sozialen Wohnungsbaus ist die Einführung einer neuen Wohnungsgemeinnützigkeit einer der wenigen Lichtblicke des Koalitionsvertrags im Bereich Wohnen. Denn eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit ist neben dem Erbbaurecht die einzige Möglichkeit, dauerhafte Sozialbindungen zu garantieren. Die Ampel will durch eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit «mit steuerlicher Förderung und Investitionszulagen […] eine neue Dynamik in den Bau und die dauerhafte Sozialbindung bezahlbaren Wohnraums erzeugen». Wie die Wohnungsgemeinnützigkeit konkret ausgestaltet werden soll, bleibt jedoch offen.

Die Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit gilt vielen als ein Kardinalfehler der deutschen Wohnungspolitik. In den 1980er Jahren hielten 1.800 gemeinnützige Wohnungsunternehmen einen Bestand von etwa 3,3 Millionen Wohnungen. In den Großstädten war etwa ein Drittel aller Wohnungen gemeinnützig bewirtschaftet, von diesen günstigen Wohnungen profitierten ca. acht Millionen Mieter*innen.3 Insofern ist die Wiedereinführung der Wohnungsgemeinnützigkeit ein längst fälliger Schritt. Um damit aber das Problem der auslaufenden Sozialbindungen zu lösen und so den Niedergang des sozialen Wohnungsbaus zu stoppen, müsste die Koalition die Förderung auf die gemeinnützige Wohnungswirtschaft konzentrieren.

Dies ist jedoch nicht vorgesehen, im Gegenteil. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu: Die «etablierte Wohnungswirtschaft» soll durch die Wohnungsgemeinnützigkeit nicht benachteiligt werden.4 Doch eine freiwillige Wohnungsgemeinnützigkeit ohne privilegierte Vergabe von Fördergeldern oder von Grundstücken läuft Gefahr, zu einem Feigenblatt oder einem bloßen Nischensegment zu werden. Insgesamt hält sich die Begeisterung der Wohnungswirtschaft über die Wiedereinführung einer Wohnungsgemeinnützigkeit in Grenzen. Der GdW-Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen zum Beispiel, in dem neben den großen Wohnungskonzernen auch die kommunale Wohnungswirtschaft und die großen Wohnungsgenossenschaften vertreten sind, hat diesen Vorschlag bekämpft. Ohne handfeste Vorteile werden sich die Mitgliedsunternehmen schwertun, sich den Grundsätzen der Gemeinnützigkeit zu unterwerfen. Welche Kommunen schließlich den Mut haben werden, ihre kommunalen Wohnungsunternehmen in die Gemeinnützigkeit zu zwingen, bleibt abzuwarten.

Der Koalitionsvertrag lässt außerdem offen, ob die früheren Grundprinzipien der Wohnungsgemeinnützigkeit – Deckelung der Mieten auf die Kostenmiete, eine Renditebegrenzung und die Reinvestitionspflicht der Gewinne – auch bei einer Neuauflage zur Anwendung kommen sollen. Dagegen spricht, dass die Grünen als treibende Kraft hinter dieser Passage im Koalitionsvertrag in ihren eigenen Konzepten bereits vom Grundsatz der Kostenmiete abgerückt sind und die Renditebegrenzung als Renditegarantie angelegt haben.5 Gerade die Höhe der Gewinndeckelung dürfte Gegenstand harter Diskussionen werden, da der Koalitionsvertrag hierzu nichts festhält. Angaben dazu, welchen Anteil die gemeinnützige Wohnungswirtschaft am gesamten Wohnungsmarkt haben soll, fehlen vollständig.

Mit einer Sozialwohnungsquote, die wohl weiter unter der Zielmarke von 25 Prozent der Neubauwohnungen bleiben wird, und mit einer neuen Wohnungsgemeinnützigkeit, der ein Nischendasein droht, wird auch der rot-grün-gelbe Wohnungsbau deutlich am realen Bedarf vorbeigehen. Es ist den Plänen der neuen Regierung anzusehen, dass sie vor allem die Wohnungssorgen der Mittelschicht ernst nimmt. Die Not von etwa der Hälfte der Bevölkerung zu lindern, die sich in den meisten Städten kaum mehr eine Wohnung leisten kann, ist dagegen offenbar kein zentrales Ziel der Ampel.

DIE MIETEN DÜRFEN WEITER STEIGEN

Das zeigt sich auch beim Thema Regulierung der Mietpreise, das weitgehend eine Leerstelle bleibt. Im Bundestagswahlkampf hatte die SPD noch ein Mietenmoratorium für angespannte Wohnungsmärkte und das Schließen von Schlupflöchern bei der Mietpreisbremse versprochen. Auch die Grünen hatten mit der Nachschärfung der Mietpreisbremse sowie rechtssicheren Mietobergrenzen im Bestand geworben.

Herausgekommen sind eine simple Verlängerung der bestehenden Mietpreisbremse sowie eine Absenkung der Kappungsgrenze im Bestand von 15 auf 11 Prozent in drei Jahren. Das heißt, dass selbst dort, wo die Wohnungsmärkte offiziell als angespannt gelten, die Bestandsmieten immernoch um fast vier Prozent im Jahr erhöht werden dürfen – anderswo sogar um fast sieben Prozent. Da weder Löhne noch Renten im gleichen Umfang steigen dürften, ist eine weitere Umverteilung zulasten der Mieter*innen vorprogrammiert. Auch die angekündigte Verlängerung des Betrachtungszeitraums beim Mietspiegel von sechs auf sieben Jahre sowie die Verpflichtung, in allen Großstädten einen Mietspiegel zu erstellen, werden am Prinzip eines «Mieterhöhungsspiegels» nichts ändern, da die meist günstigeren Altmieten auch weiterhin durch die in den Mietspiegel eingehenden Mieterhöhungen und teureren Neuverträge nach oben angepasst werden. Von wenigen Korrekturen abgesehen wird beim Thema Mietpreisregulierung alles beim Alten bleiben – das heißt: Es wird keine wirkungsvolle Mietpreisregulierung geben. Das ist die größte Enttäuschung beim vorliegenden Koalitionsvertrag, ganz besonders für das breite Bündnis aus Mietervereinen, Gewerkschaften und lokalen Initiativen, die für einen bundesweiten Mietenstopp geworben hatten.

Die Liste der weiteren Leerstellen ist lang: Eine soziale Ausgestaltung des Gewerbemietrechts etwa durch einen Gewerbemietpreisspiegel fehlt völlig. Verstöße gegen die Mietpreisbremse werden weiterhin nicht sanktioniert. Der Deutsche Mieterbund kritisiert zu Recht, dass deutlich überhöhte Mieten auch zukünftig nicht sanktioniert werden – der derzeit wirkungslose § 5 des Wirtschaftsstrafgesetzes (WiStG) wird gar nicht erwähnt und dementsprechend auch nicht reformiert. Die von den Berliner Grünen vorgeschlagene, wenn auch juristisch umstrittene Länderöffnungsklausel für einen Landesmietendeckel ist ebenfalls vom Tisch. All das bedeutet die Missachtung von Mieterinteressen, denn die Preisregulierung muss Kernbestandteil einer sozialen Mietenpolitik sein. Die Hoffnung, dass sich die Mieten über den Bau von neuen Wohnungen regulieren lassen, wird nicht aufgehen.

MIETER*INNEN WERDEN VOR VERDRÄNGUNG NICHT GESCHÜTZT

Auch der Schutz der Mieter*innen vor Kündigung und Verdrängung spielt im Koalitionsvertrag so gut wie keine Rolle. Dabei werden eigentümerfreundliche Regelungen und bestehende Gesetzeslücken von den Vermieter*innen oft schamlos ausgenutzt. Gerade die Eigenbedarfskündigung hat sich – verbunden mit der zunehmenden Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen – zu einem Verdrängungsmotor entwickelt. Inzwischen gilt selbst die Absichtsbekundung, eine Eigentumswohnung als Zweitwohnung, als Arbeitszimmer oder für Au-pair-Kräfte nutzen zu wollen, als zulässiger Kündigungsgrund. Vorgetäuschter Eigenbedarf wird nicht bestraft und «gekaufter Eigenbedarf», das heißt der Kauf einer bewohnten Mietwohnung, um sie dann für einen eigenen Bedarf zu beanspruchen, nicht unterbunden. Hinzu kommt, dass selbst geringe Mietrückstände kaum wieder gutgemacht werden können, selbst dann nicht, wenn sie etwa vom Jobcenter verschuldet wurden. Keines dieser Probleme wird im Koalitionsvertrag angegangen. Lediglich eine Evaluierung des Mietrechts ist vorgesehen, um die Ursachen von Obdachlosigkeit zu beseitigen. Doch die Erfahrung der letzten Jahre lehrt, dass Evaluierungen meist folgenlos bleiben oder Gegenstand von zähem Ringen sind. Da das für Mietrecht zuständige Justizministerium demnächst von der FDP geführt werden wird, gilt dies umso mehr.

Das Versäumnis, diese seit Jahren, teils seit Jahrzehnten bestehenden Lücken im Mietrecht zu schließen, rückt auch das Bekenntnis im Koalitionsvertrag, durch einen «Nationalen Aktionsplan» «bis 2030 Obdach- und Wohnungslosigkeit […] überwinden» zu wollen,6 in ein anderes Licht. Denn wie will die Koalition verhindern, dass weiterhin wie in der Vergangenheit zwischen 30.000 und 50.000 Haushalte im Jahr zwangsgeräumt werden, wenn der Kündigungsschutz für Mieter*innen nicht verbessert und der Niedergang des sozialen Wohnungsbaus nicht entschieden gestoppt wird?

Enttäuschend ist der Koalitionsvertrag auch in seinen Aussagen zum Baugesetzbuch. Das kommunale Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten zählt zu den letzten Instrumenten, das den Städten bleibt, um gegen Spekulation und die Verdrängung einkommensarmer Mieter*innen aus den Innenstädten vorzugehen. Doch obwohl das Bundesverwaltungsgericht dieses Mittel zuletzt dramatisch geschwächt hat, soll ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf nur überprüft werden. Die außerdem notwendige strengere Preislimitierung beim kommunalen Vorkauf wird gar nicht genannt, ebenso wenig eine Verschärfung des Umwandlungsverbotes – beides wichtige Forderungen der Mietenbewegung. Unter dem Primat von Baulandmobilisierung und Planungsbeschleunigung droht, wie schon unter der Großen Koalition in den vergangenen Jahren, ein zäher Kampf, in dem bestehende kommunale Eingriffsrechte in den Immobilienmarkt bestenfalls gesichert, aber wohl kaum erweitert werden können.

BODEN BLEIBT SPEKULATIONSOBJEKT

Die hohen Bodenpreise, die seit der Finanzkrise ab 2008 geradezu explosionsartig steigen, sind das Grundproblem, das eine soziale Wohnungspolitik lösen muss. Hohe Grundstückspreise führen zu hohen Baukosten und erschweren den Bau von bezahlbaren Wohnungen. Sie sind ein Brandbeschleuniger für soziale Ungleichheit, da die Mieten der Vielen in leistungslose Gewinne der Wenigen fließen. Sie sind das Produkt überschüssigen und nach Anlagemöglichkeiten suchenden Kapitals und zwingen den Kommunen überteuerte Preise auf, wenn sie etwa mit Vorkaufsrechten versuchen gegenzusteuern.

Gerade die SPD hatte in ihrem Wahlkampf immer wieder behauptet, die «Spekulation mit Grund und Boden stoppen» zu wollen.7 Da auf überteuertem Boden kein bezahlbarer Wohnraum entstünde, würde man sich dem Thema Bodenpolitik deutlich mehr zuwenden müssen, so Kevin Kühnert auf dem «Wohnungsbautag» am 6. Mai 2021. Doch im Koalitionsvertrag findet sich davon nichts. Auf keine der zahlreichen Forderungen von Kommunen, Stadtplaner*innen und Architekt*innen wurde eingegangen: keine zeitweise Deckelung der Bodenpreissteigerungen, wie es etwa das Deutsche Institut für Urbanistik (DIfU) vorgeschlagen hat;8 keine Abschöpfung leistungsloser Bodenwertgewinne etwa durch Planungswertausgleich oder die Einführung einer Bodenwertzuwachssteuer, wie es die SPD bereits in den 1970er Jahren forderte; kein Stopp der Privatisierung von öffentlichen Grundstücken und kein Bundesbodenfonds, um die Kommunen bei einer aktiven Bodenpolitik zu unterstützen. Noch nicht einmal eine Enquete-Kommission zur Bodenpolitik soll eingerichtet werden, obwohl auch das eine prominente Forderung der SPD im Wahlkampf war.

Stattdessen hat sich auch hier die Linie durchgesetzt, höchstens die extremen, das heißt illegalen oder zumindest halblegalen Auswüchse des Marktes zu adressieren, um aufdiese Weise die Profitinteressen von Eigentümer*innen und Konzernen auch gegen Kritik abzusichern. Auf diese Weise haben einige erfolgreiche Ansätze bei der Bekämpfung von Steuerverschiebungen, der Verschleierung von Eigentumsverhältnissen und Geldwäsche den Weg in den Koalitionsvertrag gefunden: Verknüpfte Register, ein Versteuerungsnachweis für im Ausland ansässige Eigentümer*innen und das Bargeldverbot beim Immobilienkauf könnten endlich Licht ins Dunkel der intransparenten Immobilienmärkte bringen, zudem könnte eine neue «Zinshöhenschranke» die bei Immobiliengesellschaften beliebte Steuervermeidung über Gewinnverschiebung ins Ausland unterbinden.9

Für eine wirksame Einschränkung der Spekulation mit Wohnraum und Boden ist das jedoch zu wenig. Schon beim Umgang mit dem Thema Share Deals – also der Praxis, Immobilien als Firmenanteile zu verkaufen, um die Grunderwerbssteuer zu umgehen – zeigt sich die ganze Halbherzigkeit der neuen Regierung. Offenbar musste man hier der FDP entgegenkommen. Vorgesehen ist nun, zuerst mit Freibeträgen bei der Grunderwerbssteuer für den Hauskauf neue Steuererleichterungen einzuführen, bevor bei den Share Deals nachgebessert wird. Selbst hier steckt der Teufel im Detail. Schon in der vergangenen Wahlperiode ist das Schließen dieses Steuerschlupflochs am Widerstand der Union gescheitert, die den Bundesrat nun in ihrer Oppositionsrolle umso mehr nutzen wird, um wirksame Regelungen in diesem Bereich zu unterbinden. Ob die SPD die Begrenzung der Share Deals engagierter verfolgen wird als in der Vergangenheit, bleibt abzuwarten.

KLIMASCHUTZ ALS SOZIALE ZEITBOMBE

Auch beim Klimaschutz zeigt sich, dass die Ampel vor allem die Immobilienwirtschaft und weniger die Mieter*innen im Blick hat. Nach Jahren weitgehenden Stillstands – der Wärmesektor ist der einzige, der in den vergangenen Jahren immer seine Klimaziele verfehlte – konnten die Grünen hier erkennbar Akzente setzen: strengere Klimastandards im Wohnungsneubau und bei Umbauten, die Umstellung der öffentlichen Sanierungsförderung auf die tatsächlichen Treibhausgasemissionen, der Anfang vom Ausstieg aus dem fossilen Heizen, eine Solarzellenpflicht auf neuen Gebäuden (sofern sie nicht dem Wohnen dienen) und der Einstieg in ein klimafreundlicheres und ressourcenschonendes Bauen mit Gebäudeenergieausweis und -kataster, Ressourcenpass und einer «verstärkten» Einbeziehung aller Kosten, die von Baustoffgewinnung bis zum Abriss entstehen.

Die verabredeten Fortschritte im Klimabereich sind nicht überraschend, auch weil die Immobilienverbände und die Bauwirtschaft nicht erst seit Fridays for Future ihre Lobbyinteressen in ökologischen Farben malen. Ob Baustoffhersteller oder die großen Wohnungsunternehmen: Die Bau- und Immobilienbranche hat längst erkannt, dass in der energetischen Sanierung und im klimafreundlicheren Bauen die Zukunft liegt. Entsprechend gering dürften hier auch die Widerstände der FDP gewesen sein – solange die Gewinne der Unternehmen stimmen.

Das scheint durch den Koalitionsvertrag gesichert: Erstens werden die neuen Klimastandards die Unternehmen keineswegs überfordern. Die Vorgaben für Neubau, Sanierungen und Heizungseinbau sind keineswegs so weitreichend, dass sie Klimaneutralität gewährleisten – und sie sollen auch erst 2024 bzw. 2025 kommen. Die Betonung von Technologieoffenheit und nicht näher definierten Quartierskonzepten lässt zusätzliche Schlupflöcher. Zweitens wird es Wohnungseigentümer*innen weiterhin freigestellt, ob sie im Bestand überhaupt sanieren. Ohne verbindliche Instrumente, die Sanierungsquote mindestens zu verdoppeln, rücken die Klimaziele jedoch in weite Ferne. Und drittens können die Vermieter*innen die Kosten für den Klimaschutz auch zu erheblichen Teilen auf die Mieter*innen abwälzen. Diese müssen den CO2-Preis auf Wärme noch bis Mitte 2022 allein zahlen, und danach noch mindestens zur Hälfte, obwohl sie gar keinen Einfluss auf die Art des Heizens nehmen können. Gleichzeitig hat die FDP sich mit ihrer vagen und vollkommen unausgereiften Idee einer «Teilwarmmiete»10 gegen längst bestehende Konzepte durchgesetzt, die vorsehen, Mieter*innen nur in dem Maße zusätzlich zu belasten, wie sie an Heizkosten einsparen. Da auch hier die FDP mit dem Justizministerium am längeren Hebel sitzt, wird es im Kern wohl bei der Modernisierungsumlage bleiben, die die Mieter*innen alle Kosten allein tragen lässt und sich seit vielen Jahren als ein wesentlicher Motor der Verdrängung erwiesen hat.

Da die Ampel auch im Gebäudebereich Klimaschutz vor allem als Wirtschaftsförderung begreift, wird nicht nur die dringend nötige Wärmewende verschleppt. Die energetische Sanierung von Wohngebäuden droht zu einem der größeren sozialen Konflikte bei der Bekämpfung des Klimawandels zu werden. Ein einmaliger Heizkostenzuschuss im Winter oder eine Klimakomponente für das Wohngeld, die Sanierungsmieterhöhungen durch zusätzliche Mietzuschüsse auffangen soll, können die soziale Zeitbombe, die beim Klimaschutz im Gebäudebereich tickt, nicht entschärfen. Die Frage, wie die energetische Gebäudesanierung sozial abgefedert werden soll, bleibt im Kern unbeantwortet.

FREIE FAHRT FÜR WOHNUNGSKONZERNE

Die Wohnungskonzerne könnten als die großen Gewinner aus dem rot-grün-gelben «Fortschrittsbündnis» hervorgehen. Von der «Investitionsoffensive» beim Wohnungsbau und beim Klimaschutz werden Vonovia, LEG, Heimstaden und Co. besonders profitieren. Sie als große Unternehmen mit in-gesourcten Bau- und Handwerksleistungen verfügen über die Kapazitäten und bei Nachverdichtung ihrer Bestände auch über die nötigen Grundstücke und Aufstockungsmöglichkeiten. Gleichzeitig passt die Investitionsstrategie der Ampel – die von den Konzernen am Runden Tisch mitentschieden wird – zu ihrer Strategie, höhere Mieteinnahmen (neuerdings) auch über teure Neubauten zu generieren. Ob Mieterhöhung, Modernisierung oder Erfindung neuer Ausgabeposten bei der Nebenkostenabrechnung – die bisherigen Geschäftsmodelle der Konzerne bleiben unangetastet. Daran werden auch neue Transparenzpflichten bei der Nebenkostenabrechnung nichts ändern. Eine Instandhaltungspflicht fehlt ebenso im Koalitionsvertrag – das Herunterwirtschaften von Beständen bleibt also unsanktioniert. Da auch keine Verschärfungen im Kartellrecht gegen weitere Großfusionen, keine Regulierung des Handels mit Immobilien auf den Finanzmärkten und keine verbindlichen Minimalstandards für die gewerbliche Bewirtschaftung von Wohnraum geplant sind, müssen Vonovia & Co. die Ampel nicht fürchten. Dazu passt, dass die aggressiven Geschäftspraktiken der Konzerne mit keinem Wort problematisiert werden. Für eine Wohnungspolitik im Interesse der Mieter*innen, die auch weiter Schwerpunkt von Linken in und außerhalb von Parlamenten sein muss, bietet das eine offene Flanke.

FAZIT UND AUSBLICK

Gerade weil ein Vorstoß für die Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne nach dem Vorbild Berlins auf der Bundesebene aussichtslos scheint, müssen andere Instrumente gegen die Dominanz von Wohnungskonzernen, Immobilienfonds und ihren Geschäftsmodellen im Vordergrund stehen. Hierzu zählen aus unserer Sicht:

  • ein bundesweiter Mietendeckel und ein besserer Schutz vor Verdrängung – auch für Kleingewerbe, Kultur und soziale Einrichtungen;
  • ein Antispekulationsgesetz, das Share Deals verbietet, die Steuerfreiheit bei privaten Wohnungsverkäufen nach zehn Jahren abschafft, die Regeln auf den Finanzmärkten verschärft und die Spekulation mit Leerständen unterbindet;
  • ein Wohnungswirtschaftsgesetz, das private Wohnungsunternehmen auf Bewirtschaftungsstandards verpflichtet und sie demokratisiert;
  • eine neue Bodenpolitik, die die Bodenpreise deckelt, Privatisierungen stoppt, leistungslose Bodenwertgewinne abschöpft und den kommunalen Anteil am Bodeneigentum deutlich ausbaut;
  • ein ambitioniertes Sanierungsprogramm ohne Mieterhöhungen, das Klimaneutralität bis 2035 garantiert und die Vermieter*innen an den Kosten beteiligt;
  • ein öffentliches Wohnungsbauprogramm mit einer neuen Wohnungsgemeinnützigkeit als Leitbild und dem Ziel, einen nicht-profitorientierten Wohnungssektor aufzubauen, der das Recht auf Wohnen auch denjenigen garantiert, die auf dem Wohnungsmarkt diskriminiert werden.

Die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen für den Bereich Wohnungspolitik haben bei Mietervereinen, Sozialverbänden, Expert*innen und bei der Mietenbewegung zum Teil Fassungslosigkeit und allerorts Enttäuschung hinterlassen. Jetzt heißt es aber nicht aufzugeben, sondern die gute Zusammenarbeit in breiten Bündnissen fortzusetzen, die bereits in den vergangenen Jahren erfolgreich erheblichen politischen Druck aufbauen konnten. Dieser Druck wird auch weiterhin nötig sein, um der Ampel zumindest minimale Fortschritte abringen zu können. Und wer weiß? Vielleicht werden sich nicht nur LINKE, sondern auch einige der vielen neuen jungen kritischen Bundestagsabgeordneten von SPD und Grünen für die Belange der Mieter*innen starkmachen?

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Caren Lay ist Sprecherin für Mieten-, Bau- und Wohnungspolitik der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag. Armin Kuhn ist wohnungs- und mietenpolitischer Referent am Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung

 

Quellennachweis

1 Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Koalitionsvertrag 2021–2025 zwischen der SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP, 24.11.2021, unter: www.spd.de/koalitionsvertrag2021/, Zeile 2927.

2 Pestel-Institut: Bedarf an Sozialwohnungen in Deutschland, Hannover 2012.

3 Bericht der Bund-Länder-Kommission «Wohnungsgemeinnützigkeitsrecht» vom 14. Oktober 1983, in: Unabhängige Kommission 1985: Gutachten zur Prüfung der steuerlichen Regelungen für gemeinnützige Wohnungsund Siedlungsunternehmen, Schriftenreihe des BMF, Heft 35.

4 Mehr Fortschritt wagen, Z. 2934.

5 Die grüne Bundestagsfraktion hat im Februar 2020 einen Gesetzentwurf eingebracht, der die ortsübliche Vergleichsmiete, also die Marktmiete, zum Maßstab auch für gemeinnützige Wohnungen macht, die in ihrer Miete darunterliegen sollen. Als Rendite werden 3,5 Prozent festgesetzt, die jedes Jahr ausgeschüttet werden können, auch nachträglich (vgl. Bundestagsdrucksache 19/17307).

6 Mehr Fortschritt wagen, Z. 3047.

7 SPDWahlprogramm 2021, unter: www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Beschluesse/Programm/ SPD-Zukunftsprogramm.pdf, S. 37.

8 Adrian, Luise u. a.: Aktive Bodenpolitik, Fundament der Stadtentwicklung, Deutsches Institut für Urbanistik (DIfU), Berlin 2021.

9 Vgl. hierzu Netzwerk Steuergerechtigkeit: Koalitionsvertrag enttäuscht Erwartungen für mehr Steuergerechtigkeit, 25.11.2021, unter: www.netzwerk-steuergerechtigkeit.de/koalitionsvertrag2021/.

10 Die «Teilwarmmiete» ist ein FDP-Konzept, das einen Teil der Heizkosten als Pauschalbetrag in die vertraglich garantierte Miete integriert. Vermieter*innen sollen so Anreize zur energetischen Sanierung erhalten, da der Betrag unverändert bleibt, sie also einen Teil der eingesparten Heizkosten als Gewinn einstreichen können. Der Vorschlag beruft sich auf eine Universitätsstudie, die das Modell selbst als zu bürokratisch und teils nicht anwendbar verworfen hatte (vgl. Bundestagsdrucksache 19/25246).