Wohnen: Die neue Klassenfrage

Eine Rezension von Thomas Gesterkamp auf GEGENBLENDE

Die Linken-Politikerin Caren Lay ist eine über ihre Partei hinaus anerkannte Expertin für Wohnungspolitik. In ihrem neuen Buch analysiert sie die Folgen der Spekulation mit Immobilien. Eine Rezension.

Monopoly heißt das berühmt-berüchtigte Spiel, mit dem schon Kinder und Jugendliche lernen, die Regeln von Marktwirtschaft und Kapitalismus einzuüben. Caren Lay, wohnungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Deutschen Bundestag, spricht in ihrem Buchtitel daher von “Wohnopoly”. Die studierte Soziologin zieht eine schonungslose Bilanz der Versäumnisse der letzten Jahrzehnte in diesem Politikfeld. Die Wohnungsfrage sei die soziale Frage unserer Zeit, lautet die Kernthese der Autorin, sie spricht gar von einer “neuen Klassenfrage”.

Wohnen ist die soziale Frage unserer Zeit

Spätestens nach Finanzkrise und Euroturbulenzen wurden Immobilien in Deutschland zu Spekulationsobjekten. Private Anleger*innen flüchteten in das sprichwörtliche “Betongold”, immer mehr internationale Investmentfirmen und Private-Equity-Fonds tummeln sich seither auf dem Markt. Die Kaufpreise haben sich dadurch mehr als verdoppelt, in vielen Großstädten liegen die Zuwächse noch darüber, parallel sind auch die Mieten deutlich gestiegen. Zudem entwickeln sich aktuell die rasant nach oben gehenden Energiekosten für Gas und Strom zu einer gravierenden Zusatzbelastung. Nicht nur Arme und Geringverdienende leiden unter den hohen Ausgaben für das Dach über dem Kopf. Auch viele Eltern aus der Mittelschicht mit hohem Platzbedarf für ihre Kinder können sich das Wohnen in der Nähe ihrer Arbeitsplätze nicht mehr leisten. Teilweise verschlingen Mieten oder Zinsen die Hälfte des Familieneinkommens.

Nach den Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg wurde Jahrzehnte lang überall in Deutschland gebaut. Dörfer und Kleinstädte expandierten, neue Hochhausviertel am Rande der Ballungsräume entstanden. Innenstadtnahe Wohngebiete wurden schrittweise saniert, in den 1980er Jahren verschärfte sich dadurch die soziale Spaltung. Es begann ein Prozess der Segregation und urbanen Gentrifizierung: Gut verdienende Akademikerhaushalte zogen nun nicht mehr raus in die Vororte oder gar “aufs Land”, sondern bevorzugten das Wohnen im zentral gelegenen, ansprechend renovierten Altbau. Weniger wohlhabende Bewohner*innen mussten ihnen weichen. Sie wurden an die städtische Peripherie vertrieben, weiter entfernte Regionen ohne gute öffentliche Verkehrsanbindung ganz abgehängt. So entstand im Laufe der Zeit ein eklatantes Gefälle zwischen Zentrum und Provinz: Bodenrichtwerte, Mieten und Hauspreise liegen heute in den beliebten “Schwarmstädten” um ein Vielfaches höher als auf dem platten Land. Das Wohnen in den angesagten Vierteln der Metropolen ist für Normalverdienende zu einem Luxusgut geworden.

Caren Lay analysiert die historischen Ursachen der Misere. Sie beschreibt, wie die Kabinette unter Helmut Kohl den sozialen Wohnungsbau immer mehr vernachlässigten, wie die rotgrüne Koalition unter Gerhard Schröder unermüdlich liberalisierte und privatisierte, eine ganze Branche dem sogenannten freien Wettbewerb überließ. Sie erinnert in ihrem “Sündenregister” daran, dass “viele der Instrumente, die wir heute brauchen, schon mal da waren”. Mietpreisregulierungen zum Beispiel gab es bereits in der Weimarer Republik. Bis in die 1960er Jahre hinein wurden sie, unter der konservativen Regierung von Kanzler Konrad Adenauer, auch in Westdeutschland praktiziert; im Osten waren sie sowieso selbstverständlich.

Immobilenunternehmen: einflussreiche Lobby

Der umstrittene “Mietendeckel” in Berlin ist also keineswegs eine sozialistische Erfindung, wie die Interessenvertretungen der Wohnungswirtschaft unermüdlich behaupten. Die Einflussnahme von großen Immobilienunternehmen wie Vonovia oder Deutsche Wohnen auf politische Entscheidungen ist ein zentrales Thema des Buches. Allein im direkten Umfeld der Bundesregierung arbeiten 144 hauptamtliche Lobbyist*innen zum Thema, sie verfügen über ein Budget von über acht Millionen Euro. Auf der Gegenseite, beim Deutschen Mieterbund, sind es gerade mal vier professionelle Akteure. 

In dieser “Bubble, in der sich die politische Klasse bewegt”, so Lay, “werden Studien, Gutachten und Argumentationshilfen zu aktuellen Fragen erstellt”. Auf Diskussionsveranstaltungen, bei luxuriösen Einladungen zum Abendessen oder parlamentarischen Frühstücken im Regierungsviertel sind Abgeordnete ständig den einseitigen Argumentationsketten der Branche ausgesetzt. “Es ist schwierig, sich von diesem Framing nicht vereinnahmen zu lassen und den eigenen Kurs zu halten”, weiß die Autorin aus eigener Erfahrung.

Viele der Details, über die Lay schreibt, sind seit Jahren bekannt, zumindest unter kritischen Fachleuten. Für politische Entscheider*innen und andere Interessierte aber bietet sie eine komprimierte, quellenbasierte und mit klaren Thesen gespickte Zusammenfassung. Am Ende des Buches skizziert sie in einem “Mietenmanifest” Auswege und alternative Konzepte. Sie verlangt eine intensive Wiederbelebung des nahezu eingestellten gemeinnützigen Wohnungsbaus, sie ruft zur Gründung von Wohngenossenschaften auf und fordert statt fiskalischer Begünstigung eine drastische Besteuerung der Spekulation mit Wohnraum. Vor allem drängt sie auf eine breite Kooperation aller, die etwas ändern wollen: “Ohne Druck von unten geht es nicht. Wir müssen mehr werden. Ob Initiativen und Gewerkschaften, Sozialverbände oder Kirchen - kommt zusammen! Nur mit einem Mitte-unten-Bündnis können wir die Macht der Fonds und Konzerne brechen!” 

Link zum Artikel[1]

Links:

  1. https://gegenblende.dgb.de/artikel/++co++23aac886-3d75-11ed-ad16-001a4a160123