Zeit für eine wohnungspolitische Wende

Wohnen ist die Weise, in der wir uns in der Welt befinden. Der Begriff leitet sich vom Bauen und Sein ab. Wer wohnt, der liebt – zumindest sprachgeschichtlich, denn im althochdeutschen „wonên“ klingen neben „Liebe“ auch „zufrieden sein“ und „bleiben“ mit. Doch immer weniger Menschen können sich Wohnen, das heute auch zu einer sozialen und ökologischen Frage geworden ist, leisten. Nach UN-Angaben werden im Jahr 2050 nur noch ein Drittel aller Menschen in ländlichen Gebieten wohnen und zwei Drittel in Städten, wo der Wohnraum besonders teuer ist. Aber nicht nur hier werden Menschen aus ihren Wohnungen gekündigt – die Zahl der Wohnungslosen erreicht vielerorts Rekordwerte. Inzwischen gibt die Hälfte der Menschen bereits über 30 Prozent ihres Einkommens für das Wohnen aus. Verschärft wird die Lage durch die aktuelle Energie- und Gaskrise, die für viele Menschen Wohnen unbezahlbar macht. „Wir brauchen einen bundesweiten Mietenstopp“, fordert Caren Lay deshalb in ihrem Buch „Wohnopoly“, in dem sie sich der Spekulation auf dem Wohnungsmarkt, der Rolle internationaler Rentenfonds und Wegen aus der Wohnungskrise widmet.

Ihre zentrale These lautet, dass hinter der Mietenkrise das Kapital und die Spekulation mit Immobilien steckt – und die Politik dies nicht nur zugelassen, sondern sogar befördert hat. Sie hat eine Vielzahl von Daten zusammengetragen, von denen hier einige exemplarisch genannt seien: In den vergangenen sechs Jahren sind die Mieten in Berlin und Heidelberg um mehr als 40 Prozent gestiegen (die Bruttolöhne bundesweit allerdings nur um ca. 11 Prozent). Lay spricht von einer „schleichenden Enteignung“ der Mieter:innen, einer Umverteilung von unten nach oben. Dies spiegelt sich auch im Bild der Städte wider: „Hier die armen, dort die reichen Viertel.“ Ebenso ist das Gewerbe betroffen: „Wo Helgas Eckkneipe war, zieht Starbucks ein. Wenn wir nicht bald handeln, sehen unsere Städte bald aus wie London oder Paris.“

Wohnen als wichtige soziale Frage geht uns alle an

Caren Lay, geboren 1972, ist Diplom-Soziologin. Sie studierte Soziologie, Politik und Frauenforschung in Marburg, Frankfurt am Main, Penn State und Berlin. Seit Anfang der 2000er Jahre ist sie in der Politik aktiv und setzt sich seit Jahren für Mietenstopp und soziales Wohnen ein. Seit 2009 ist sie Mitglied des Deutschen Bundestags und seit 2016 Sprecherin für Mieten-, Bau- und Wohnungspolitik der Fraktion DIE LINKE. Ein Mietenstopp sei ihrer Meinung nach auch das beste Mittel gegen Inflation, den diese geht zu einem großen Teil auf gestiegene Wohnkosten zurück. In ihrer Bundestagsrede https://www.caren-lay.de/de/article/1758.das-linke-krisenpaket-miete.html kritisierte sie kürzlich, dass zwar zurecht viel über die Energiepreiskrise gesprochen wird, aber noch zu wenig über die Mietenkrise: „Es gibt Heizkostenzuschuss und Wohngeldreform. Ja, aber es bekommen eben nicht alle Menschen Wohngeld … Indexmieten steigen automatisch mit der Inflation. Ein Plus von 10 Prozent kann sich doch kein Mensch leisten. Auch bei diesen Verträgen muss ein Mietenstopp gelten.“ Mietervereine berichten, dass bis zu 90 Prozent der neuen Mietverträge als Indexmietverträge abgeschlossen werden. Bei dieser Inflation sollten diese ihrer Meinung nach verboten und das Kündigungsrecht geändert werden. Angesichts der aktuellen Krisen sei das „ein Pulverfass“, denn Hunderttausende werden diese Kostenexplosion nicht tragen können.

In ihrem Buch fragt Caren Lay auch, warum Seitens der Politik so wenig unternommen wird, um diese Entwicklung zu stoppen und bezahlbares Wohnen für alle zu gewährleisten. Dazu liefert sie zahlreiche Ideen, damit Stadtgesellschaft und kommunales Leben nicht verkümmern und auch die Wirtschaft wieder gestärkt wird: Denn ohne bezahlbaren Wohnraum fehlen auch die klassischen Konsument:innen. Es werden viele nachhaltige Maßnahmen benötigt, damit Wohnen wieder bezahlbar wird. dazu gehören für Caren Lay:

  • ein bundesweiter Mietendeckel
  • die Schaffung eines nicht-profitorientiertem Sektors auf dem Wohnungsmarkt nach dem Vorbild Wiens
  • eine öffentliche Eigentumsstruktur auf den Energiemärkten
  • Wohnungsgesellschaften, vor allem kommunale, gemeinnützige und genossenschaftliche, die durch eventuelle Zahlungsausfälle in finanzielle Schieflagen kommen, sollten durch einen Hilfsfonds unterstützt werden
  • die Abschaffung der Steuervorteile für Immobilienspekulation
  • das Verbot von Fonds und Konzernen auf dem Wohnungsmarkt.

Das Thema bezahlbarer Wohnraum ist auch von enormer Bedeutung für die Stadtentwicklung. Für Städte ist es oft kein leichter Weg, zusätzliche Wohnungen mit preisgünstigen Mieten anzubieten. Steigende Baupreise, steigende Bodenpreise, die Renditeerwartungen von Investoren und Widerstände gegen mehrgeschossiges Bauen sind beispielsweise Gründe, die die Bemühungen zur Errichtung günstigen Wohnraums erschweren. Doch ohne entsprechende Angebote wird bezahlbarer Wohnraum für viele Menschen unbezahlbar, die zum teil obdachlos werden. Sie können nicht nach einem normalen Arbeitstag in ein warmes Zuhause kommen, zu Abend essen und gemütlich auf dem Sofa entspannen. Täglich müssen sie um einen Schlafplatz bangen und sind den Gefahren auf der Straße schutzlos ausgeliefert.

Keinen Wohnraum zur Verfügung zu haben und damit auch keine Privatsphäre, verletzt die Menschenwürde.

Das folgende Beispiel zeigt, dass günstiger Wohnraum möglich ist, und dass solcher auch in attraktiven Geschosswohnungen bereitgestellt werden kann, die städtebaulich ansprechend sind: Die Unternehmensgruppe Krieger + Schramm (K+S), ein innovativer Wohnungsbau-Spezialist mit Niederlassung in Frankfurt/Riedberg hat in Bommersheim als Bauträger zwei Mehrfamilienhäuser mit 22 geförderten Sozialwohnungen des zweiten Förderweges realisiert: bezahlbaren, mietpreisgebundenen Wohnraum. Das Objekt verbleibt im Bestand der Gesellschafter von K+S. Finanziert wurde es unter anderem mit Fördermitteln der Wirtschafts- und Infrastrukturbank Hessen (WI-Bank). Die Mieten unterliegen einer zwanzigjährigen Mietpreisbindung und liegen mindestens 20 Prozent unter den ortsüblichen Durchschnittsmieten. Die Stadt Oberursel hat in dieser Zeit das Belegrecht. Ansprechpartner für Mietinteressierte ist die Abteilung Sozialberatung und Wohnungswesen der Stadt Oberursel. Mieter sind Familien mit Kindern, Alleinerziehende und Rentner. Für einige ist es die erste Wohnung nach dem Leben in einer Behelfsunterkunft.

Zur Rezension: https://www.xing.com/news/insiders/articles/grundrecht-wohnen-die-grosse-soziale-frage-unserer-zeit-5299277?xng_share_origin=web

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Buchcover

Die Wohnungsfrage ist die soziale Frage unserer Zeit. Doch statt sie anzugehen, werden Fehlentwicklungen systematisch politisch gefördert. Wohnungen sind zu reinen Spekulationsobjekten verkommen. Hohe Nachfrage und sogenannte Zwangssanierungen lassen die Mieten explodieren und zwar nicht nur in den Großstädten, sondern auch im Umland. Menschen werden aus jahrzentelang gewachsenen, sozialen Strukturen gerissen, gentrifzierte Viertel zu Soziotopen der Besserverdienenden. Wie konnte es soweit kommen? Warum unternimmt die Politik so wenig, um Mietenwahnsinn und Spekulation endlich zu stoppen? Und was muss getan werden, damit Wohnen endlich wieder bezahlbar wird? Caren Lay nimmt die deutsche Wohnungspolitik der letzten 20 Jahre schonungslos unter die Lupe, zeigt auf, wie und warum Deutschland zum Eldorado für Wohnungsspekulation werde konnte, und liefert provokante Ideen für eine soziale Wohnungspolitik, die wir so dringend brauchen.

Erschienen bei Westend / 160 Seiten Leseprobe

Über mich
Ich bin Bundestagsabgeordnete und Sprecherin für Mieten-, Bau- und Wohnungspolitik sowie für Clubpolitik.