Reisebericht Taiwan

11.10.2022

Meine Reise mit dem parlamentarischen Freundeskreis nach Taiwan hat ungewöhnlich viel Aufmerksamkeit erregt, war Gegenstand von Kritik von einigen Linken (nicht aus meiner Partei die Linke aber aus der gesellschaftlichen Linken.) Vor diesem Hintergrund möchte ich meinem Reisebericht folgende Vorbemerkung voranstellen.

Wie mir durch Zuschriften und Kommentare scheint, ist bei vielen der aktuelle Stand über Taiwan nicht bekannt: Taiwan ist seit 1991 aus dem Kriegsrecht heraus, seit 1996 eine parlamentarische Demokratie und gilt inzwischen als das demokratischste Land Asiens. Die Partei des ehemaligen Diktators Chiang Kai-Shek, der bis zu seinem Tod 1975 von Taiwan aus Anspruch auf die Volksrepublik China erhob, wurde abgewählt und befindet sich inzwischen in der Opposition.

Zweitens gibt es circa 50 parlamentarische Gruppen beim Deutschen Bundestag. Zielsetzung ist die Kontaktpflege mit Abgeordneten anderer Länder, es geht um den Aufbau internationaler freundschaftlicher Beziehungen unter Parlamentarier:innen.

Im Rahmen meiner langjährigen Abgeordnetentätigkeit war ich Mitglied in verschiedenen parlamentarischen Gruppen und habe in diesem Zusammenhang deutlich repressivere Länder als Taiwan bereist: Sei es ein Land unter der Diktatur der Militärjunta wie Myanmar, seien es  zwar westlich orientierte, aber autokratische und repressive Staaten wie Pakistan, Indien, Singapur; sei es  ein kommunistisches Regime wie die Volksrepublik China, das zweifellos repressiv und undemokratisch ist. All diese Reisen wurden nicht kritisiert, es hat immer Einigkeit gegeben, dass es wichtig ist, Gespräche zu führen und im Dialog zu bleiben. Gerade wir als LINKE sehen uns als Partei des Friedens und der Diplomatie und der friedlichen Konfliktbeilegung.

Vor diesem Hintergrund weise ich die immer wieder an mich herangetragene Behauptung, es hätte in meiner Fraktion eine Art Verbot für meine Reise gegeben, zurück. Meine Fraktion hat mich als Mitglied der Parlamentariergruppe bestimmt. In meiner Partei gibt es keine Reiseverbote in demokratische Länder.

Und schließlich stand unsere Reise nicht im Zusammenhang mit der Reise von Nancy Pelosi, sondern war lange vorher geplant. Ich lasse mich weder von Nancy Pelosi noch von Xi Jinping davon abbringen, Gespräche zu führen, Kontakte zu pflegen und ein demokratisches Land zu bereisen. Reisebeschränkungen im Rahmen der immer wieder von der Volksrepublik eingeforderten Bekenntnisse zur „Ein-China-Politik“ betreffen im Übrigen führende Repräsentant:innen des Staates, aber keinesfalls Parlamentarier*innen.

Für Aussagen von Kollegen anderer Fraktionen über und im Zuge dieser Reise übernehme ich keine Verantwortung.

 

Nun zu den Details meiner Reise:

Die Delegationsreise des parlamentarischen Freundeskreises Berlin-Taipeh fand vom ersten bis siebten Oktober 2022 statt. Alle im Deutschen Bundestag vertretenen Fraktionen haben sich an der Reise beteiligt. Auf dem Programm standen in erster Linie Begegnungen mit Abgeordneten des Parlamentes. Anders als bei früheren Reisen mit Parlamentariergruppen war es sehr erfreulich, dass die Abgeordneten im Parlament von Taiwan tatsächlich die Legislative darstellen (Legislative Yuan) und nicht ein repräsentatives  Scheinparlament. Erfreulich auch: Vertreter:innen der taiwanischen Studierendenbewegung haben eine eigene Partei gegründet und sitzen jetzt im Parlament. In manch anderen asiatischen Ländern müssen Vertreter:innen der Studierendenbewegung oder Gewerkschafter:innen mit massiven Repressionen rechnen, landen im Knast oder gar im Grab. Der Frauenanteil im Parlament ist höher als bei uns, da die Listen bei der Zweitstimme quotiert sind.

Zu den Inhalten: Zentrales Gesprächsthema war natürlich der aktuelle Konflikt mit der Volksrepublik China. Viele Taiwaner:innen sorgen sich über wachsende Spannungen, die übrigens seit länger andauern als der Besuch von Nancy Pelosi. China wird vorgeworfen, seine Militärbasen auszubauen, Seegrenzen zu überschreiten und durch Militärmanöver zu provozieren. Der nationalistische Kurs von Xi Jinping sowie eine Rhetorik, die den Besitzanspruch Chinas auf Taiwan unterstreicht, verstärken die Angst. Der Überfall Russlands auf die Ukraine verschärft diese Angst weiter und darf keinesfalls als Blaupause dienen. Xi Jinping hat die bilateralen Gespräche eingestellt, nachdem Frau Dr. Tsai Ing-wen von der liberale Partei DPP die Präsidentschaftswahl in Taiwan gewonnen hatte und sie sich weigert, sich zur „Ein-China-Politik“ zu bekennen. Die Gespräche mit ihr sowie mit dem Parlamentspräsidenten You Shyi-kun stellten den Höhepunkt der Reise dar. Sämtliche Gesprächspartner:innen unterstützen die Idee eines unabhängigen Taiwans mit dem Argument, de facto ein Staat zu sein und noch nie zur Volksrepublik gehört zu haben. In keinem der Gespräche wurde  die Forderung erhoben oder der Wunsch geäußert, China anzugreifen,  zu erobern oder gar von Taiwan aus zu regieren - auch nicht von Vertreter:innen der konservativen KMT, deren Gründer Chiang Kai-Shek diesen Anspruch erhoben hatte, bis 1971 durch die Intervention von US-Präsident Nixon die Volksrepublik China (und nicht länger die Republik China  - also Taiwan) einen Sitz im Sicherheitsrat erhalten hat. Chiang  Kai-Shek trat daraufhin aus der UNO aus, bis heute ein schwerer Fehler. Für mich überraschend: die KMT gilt heute als die „pro-chinesische“ Partei in Taiwan mit dem besten Verhältnis zur Volksrepublik und zu Xi Jinping.

Neben der militärischen Aufrüstung auf beiden Seiten hat mich die Tatsache besorgt, dass es offenbar keinerlei Gesprächsfaden zwischen China und der regierenden taiwanischen DPP  gibt. Der Konflikt China-Taiwan birgt ein großes Konfliktpotential nicht nur für Taiwan selber, sondern für die ganze Welt. Alles Säbelrassen und die militärischen Übungen im Konfliktgebiet müssen daher sofort aufhören. Wir als LINKE stehen für Gespräche und friedliche Konfliktbeilegung.

Zudem gab es gesonderte Gesprächsrunden zum Thema Pandemiebekämpfung und Gesundheit. Taiwan ist „an der Front“ der Pandemiebekämpfung und sucht den Austausch mit der Weltgemeinschaft. Viele andere Themen wurden gestreift, zum Beispiel auch das mir persönlich sehr am Herzen liegende Thema der Spekulationsbekämpfung. Auch Taiwan erlebt einen enormen Preisanstieg von Immobilien mit den damit verbundenen gesellschaftlichen Folgen. Ein weiteres wichtiges Thema war die Aufarbeitung des „weißen Terrors“ unter der Regentschaft von Chiang Kai-Shek. Hier bestehen bereits erste Kontakte zum Deutschen Bundestag, die weiter verstärkt werden sollen, um den beginnenden und notwendigen Prozess der Aufarbeitung weiter zu unterstützen. Schließlich ist Taiwan weltweit führend in der Halbleiterindustrie und stellt je nach Art 75 bis 90% der Chipindustrie dar. Beim Besuch eines Science-Parks konnten wir uns schließlich von der technologisch weit fortgeschrittenen Robotik überzeugen.

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