Caren Lay, MdB und Bundesgeschäftsführerin der Partei DIE LINKE auf dem Friedensfest Görlitz

01.09.2011

Es gilt das gesprochene Wort

Zum 72. Mal jährt sich heute der Überfall Nazideutschlands auf Polen. Damit begann der zweite Weltkrieg, der Tod, Leid und Elend über ganz Europa und die Welt brachte. Über 50 Millionen Menschen ließen ihr Leben. Abermillionen wurden ins Elend gestürzt. Der fanatische Hass der Nazis auf Juden führte zum Holocaust, dem größten Zivilisationsbruch der Menschheitsgeschichte.

Der zweite Weltkrieg ist jedoch keine Schuld, die allein Hitler auf sich geladen hat! Wir dürfen nicht vergessen, dass es die gemeinsame Schuld aller ist, die die Nazis gewähren ließen, die sie unterstützten und beförderten. Bereits 1920, mit Beschluss des 25-Punkte-Programms der NSDAP, war der Weg beschrieben, den Deutschland zwei Jahrzehnte später gegangen ist. Darin war die Rede von Land und Boden „zur Ernährung unseres Volkes und Ansiedlung unseres Bevölkerungsüberschusses“. Ebenso war die Rede vom Ausschluss von Jüdinnen und Juden aus allen Staats- und Parteiämtern.

Den Anfängen wurde nicht gewehrt, im Gegenteil. So brachte Deutschland unsagbares Leid über die Welt. Kein anderer Krieg hat jemals so tief eingeschnitten in das Leben aller Zeitgenossen und all ihrer Nachkommen. Und kein anderer Krieg zwingt uns so sehr in die Verantwortung: In die Verantwortung gegenüber den Opfern des Zweiten Weltkrieges, in die Verantwortung gegenüber den jetzigen Generationen und gegenüber unseren Nachkommen. Und diese Verantwortung heißt: Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen!

Dieses Vermächtnis darf nie vergessen werden. Aber es geht um weit mehr, wenn wir uns heute an den 1. September 1939 erinnern. Denn diese Welt ist keine friedliche Welt geworden. Auch wenn es angesichts des Leids und Elends dieses Krieges fast unglaublich scheint: Nach dem Zweiten Weltkrieg starben weltweit mindestens 25 Millionen Menschen in Kriegen. Über dreißig Kriege oder bewaffnete Konflikte dauern an. Deshalb sollten wir heute auch an die Menschen vor allem in Afrika, Asien und Lateinamerika denken, die nicht in Frieden leben dürfen. Auch ihnen gilt unsere Verantwortung!

Denn wir können, dürfen und werden uns nicht vom Elend dieser Welt abwenden. Auch wenn uns viele als Phantasten bezeichnen wollen, ich bleibe dabei: Wir wollen eine friedliche Welt, eine Welt ohne Krieg, ohne militärische Gewalt! Nichts anderes ist es, was aus der Geschichte zu lernen ist. Und doch ist es bisher nicht geschehen.

Es wird jedoch nicht ausreichen, dies als Wunsch auf Feierstunden zu formulieren. Diese Welt wird nicht besser, wenn sie nicht besser gemacht wird. Verantwortung wahrzunehmen für eine friedliche Welt heißt, die Ursachen von Krieg zu bekämpfen! Das geschieht am besten durch die Schaffung einer gerechten Weltwirtschaftsordnung, durch die Überwindung von Hunger und Armut und die Förderung von ziviler Konfliktlösung. Nicht zu vergessen ist ein gleicher Zugang zu Bildung, denn sie ist eine Möglichkeit, Menschen mit verschiedenen Kulturen bekannt zu machen und Vorurteile abzubauen.

Wir LINKE vertreten im Gegensatz zu den anderen im Bundestag vertretenen Parteien die Position, dass die steigende Zahl von deutschen Soldaten in anderen Ländern die Welt weder friedlicher noch Deutschland sicherer gemacht hat. Vielmehr trägt Deutschland damit dazu bei, Konflikte zu verschärfen, Aufrüstung zu fördern sowie das Völkerrecht und die Vereinten Nationen zu schwächen. DIE LINKE findet sich nicht mit verletzten und toten afghanischen Zivilisten, mit verletzten und toten deutschen Soldaten und mit verletzten und toten Soldaten afghanischer oder anderer Streitkräfte ab.

Statt in die Zukunft zu investieren und die Ursachen von Konflikten zu überwinden, finanziert die Bundesregierung militärische Großvorhaben, Aufrüstung und Kriegseinsätze. Damit wird die deutsche Außenpolitik weder ihrer historischen Verantwortung noch den globalen Herausforderungen unserer Zeit gerecht. Den alten und neuen globalen Herausforderungen – darunter die steigende Zahl von Kriegen und Bürgerkriegen, die Zunahme von Armut und Hunger sowie die Folgen des Klimawandels – setzt die Bundesregierung zunehmend militärische Maßnahmen entgegen.

Für uns LINKE ist das ein Irrweg, der die Welt weder humaner noch sicherer macht und die Menschen nicht aus Armut und Hunger befreit. Deutschland und Europa haben dafür nicht nur eine besondere Verantwortung, sondern weitaus mehr Möglichkeiten, als die meisten anderen Länder dieser Welt. Krieg als Mittel der Politik zu ächten wäre ein erster Schritt, für den wir uns entscheiden können. Doch auch die Unterstützung von Kriegen ist nicht hinnehmbar. Denn nicht nur eigene Soldaten, die Krieg auf dem Boden anderer Länder führen, sind eine Schande für Deutschland – sondern auch logistische Hilfen oder andere Unterstützungen für die Kriegführung.

Denn vergessen wir eines nicht: Krieg tötet, Krieg vernichtet und Krieg zerstört. Um dies zu wissen, braucht man kein Linker sein. Um dies zu wissen, muss man nur seine Augen öffnen.

Und so schrieb schon Andreas Gryphius, im Alter von zwanzig Jahren, in mitten des Dreißigjährigen Krieges, eines der bekanntesten Sonette in deutscher Sprache, dessen erste Strophe ich zitieren will:

Wir sind doch nunmehr gantz / ja mehr denn gantz verheeret!
Der frechen Völcker Schaar / die rasende Posaun
Das vom Blutt fette Schwerdt / die donnernde Carthaun /
Hat aller Schweiß / und Fleiß / und Vorrath auffgezehret.

Und wenn uns dieses Bild, das Gryphius mit seinen Worten zeichnet, vor Augen steht, dann brauchen wir nicht 375 Jahre zurückzuschauen! Denn so viele Regionen und Länder liegen ganz und gar verheert.

So vielen Menschen wurden und werden die Grundlagen ihres Lebens geraubt. So viele wurden und werden getötet! Wer sich dies vergegenwärtigt, dem klingen alle Reden und Worte hohl, die solches rechtfertigen. Dem klingt es hohl, wenn er von der Verteidigung Deutschlands am Hindukusch hört oder von legitimen Interessen, die geschützt werden müssen. Denn obwohl weltweit Kriege toben – von Krieg, vom Sterben und vom Tod wird kaum gesprochen! Vielmehr hören wir von Kampfeinsätzen, von bewaffneten Konflikten, von robusten Mandaten oder humanitären Einsätzen. Wir hören von weichen Zielen und Kollateralschäden.

Verändert sind aber nur die Worte!

Es bleiben Menschen, die sterben.

Es bleiben Männer und Frauen, Greise und Kinder.

Es bleiben Opfer und ihre Mörder.

Es bleibt – Krieg!

Gedenken wir am heutigen Weltfriedenstag all derer, die auch heute noch nicht in Frieden leben dürfen. Gedenken wir ihrer und lasst uns für eine Welt arbeiten, in der Krieg nur noch ein Gespenst aus der Vergangenheit ist!