Ost-West-Frau

31.03.2010

Im Berghain, dem im Moment angesagtesten Techno-Club Berlins, war Caren Lay, 38, schon länger nicht mehr. Noch vor einem halben Jahr ist die Wahl-Dresdnerin, wenn es ihr möglich war, samstagabends mit dem Zug in die Hauptstadt gefahren. Sie hat ihre Sachen am Ostbahnhof in ein Schließfach getan, die Nacht durchgetanzt und ist morgens um sieben wieder nach Hause gefahren. „Was die Clubs betrifft, hat Berlin die Nase vorn“, gibt sie mit Bedauern zu.

Die Elbstadt ist Caren Lay ans Herzen gewachsen, das merkt man sofort. Mit politisch korrektem Lokalpatriotismus hat das nichts zu tun. Die Soziologin, die in der Eifel aufwuchs und vor zehn Jahren nach Dresden kam, meint es ernst, wenn sie sagt, dass sie die Lebenskultur im Osten schätzt: das Säkulare und die Gleichheit der Geschlechter, die hier weiter als im Westen vorangeschritten sei.

Nun steht sie vor dem größten Schritt ihrer jungen politischen Karriere. Fürs Tanzen bleibt da wenig Zeit. Im Mai kandidiert die sächsische Bundestagsabgeordnete als Nachfolgerin von Dietmar Bartsch – um einen der beiden Bundesgeschäftsführer-Posten der Linkspartei. Neben der designierten Vorsitzenden Gesine Lötzsch soll sie der vereinigten Partei eine ostdeutsche Stimme geben. Gewaltige Aufgaben warten auf sie: Einerseits muss der Vereinigungsprozess von Ost- und Westflügel zu Ende gebracht werden; andererseits tritt mit Lothar Bisky die Gründergeneration Ost ab, verliert die PDS-Nachfolgepartei mit Oskar Lafontaine ihren mächtigsten Protagonisten West.

Caren Lay verkörpert den Zustand der Partei umgekehrt proportional, das wird sie für die Nominierung, die für sie überraschend kam, empfohlen haben: Sie steht als Westdeutsche für den pragmatischen Osten. In der ehemaligen WASG gibt es davon nicht viele. Aber auch für die Ost-Linke ist sie eine Ausnahmeerscheinung, am ehesten noch mit Bodo Ramelow vergleichbar. „Manchmal bin ich doppelt fremd und ein anderes Mal auf beiden Seiten zu Hause“, beschreibt sie selbst ihre Position. Vielleicht kann aus ihr nun ein Glücksfall für die noch junge Linke werden.

Lay ist eine Intellektuelle, die sich eingehend mit Geschlechterforschung beschäftigt hat und ihre politische Sozialisation in der Friedensbewegung erfuhr. Wäre die Mauer nicht gefallen, wäre sie wohl bei den Grünen gelandet. Als Redenschreiberin von Renate Künast hatte sie kurz im Verbraucherministerium gearbeitet, ehe sie beschloss, sich um eine Kandidatur für die Linke im sächsischen Landtag zu bemühen. Das hat nicht nur im linksrheinischen Städtchen Mendig, aus dem sie stammt, Aufsehen erregt. Mittlerweile hat sich ihre Familie – Facharbeiter, SPD-Milieu – an den Werdegang ihrer Tochter, die bereits in der Pubertät aus der dort mächtigen katholischen Kirche austrat, gewöhnt. Als Außenseiterin indes, die sich stets auf die andere Seite schlägt, empfindet Caren Lay sich nicht. So wirkt die sympathisch auftretende, nachdenkliche Frau auch nicht; eher wie eine, die Überzeugungen leiten.

Nach Katja Kipping ist Lay bereits die zweite Linke-Politikerin aus Sachsen, die in der Bundesspitze agiert. Damit ist der Freistaat in Berlin beinahe besser aufgestellt als in der Heimat. Hier ist es nur unzureichend gelungen, der dominanten CDU etwas entgegenzusetzen und sich aus der Isolation zu befreien. Oft genug war man mit internen Auseinandersetzungen beschäftigt. Die Thüringer unter Bodo Ramelow jedenfalls treten geschlossener und auch moderner auf.

Den Schrumpfungsprozess im Osten „politisch zu gestalten“, hält Lay für eine der wichtigsten Aufgaben der nächsten Jahre. Damit steht sie der Wachstumsidee eines Oskar Lafontaine skeptisch gegenüber. Ihre Erfahrungen in Sachsen lehrten sie eines Besseren, auch wenn sie gelernt hat, dass „ostdeutsche Belange deutschlandweit kaum eine Lobby haben“. Bald dürfte Caren Lay in der Position sein, daran selbst etwas zu ändern.

Jana Hensel
DIE ZEIT, 31.3.2010