Leseprobe "Wohnopoly"

Nachfolgend gibt es eine Leseprobe meines Buches "Wohnopoly - Wie die Immobilienspekulation das Land spaltet und was wir dagegen tun können"

Einleitung

Worum es geht

Millionen Menschen haben ein Problem: Die Mieten steigen rasant, die Wohnungsnot wird immer größer. Menschen werden ihre Wohnungen gekündigt, in denen sie Jahrzehnte gelebt haben, Familien finden kein Zuhause, Geringverdiener*innen arbeiten nur noch für die Miete und die Zahl der Wohnungslosen erreicht Rekordwerte. In unseren Städten wird Monopoly gespielt. Wo Helgas Eckkneipe war, zieht Starbucks ein, Ahmets Späti muss einem Feinkostladen weichen. Wo früher Menschen in alten Lagerhallen tanzten, stehen nun Büros und Townhouses. Selbst in Kleinstädten kann man inzwischen von der Wohnadresse auf die Einkommensverhältnisse schließen. Hier die armen, dort die reichen Viertel. Die Verdrängung von Menschen mit wenig Einkommen ist schon lange spürbar, jetzt sind Durchschnittsverdiener*innen dran. Die Mietenkrise hat die Mittelschichten erreicht. Menschen, die viele Immobilien besitzen, dürfen sich hingegen freuen, denn sie werden immer reicher, ohne etwas dafür zu tun. Der Immobilienboom spaltet das Land. Alle sind sich einig: Wohnen ist die soziale Frage unserer Zeit. Doch diese unselige Entwicklung hält ungebremst an und es gibt wenig Hoffnung, dass sich etwas ändert.

Wie konnte es dazu kommen, dass Menschen in einem der reichsten Länder der Welt Angst haben müssen, ihre Wohnung zu verlieren? Was treibt die Mietpreise nach oben und wer profitiert davon? Warum werden Mieterinnen und Mieter schutzlos Profitsucht und Gier von wenigen ausgeliefert? Und schließlich: Was können wir dagegen tun? Genau diesen Fragen möchte ich in diesem Buch nachgehen und aus dem Inneren der Politik berichten. Kaum ein anderes Thema ist im Bundestag – ja in der Öffentlichkeit – so heftig umstritten wie die Wohnungspolitik. Hinter unterschiedlichen Positionen stehen mächtige Interessen. Schließlich geht es um Geld, um sehr viel Geld. Und ja, auch die Lobby spielt mit.

Im Entstehungsprozess des Buches begann der Krieg in der Ukraine. Auf die damit verbundene Explosion der Energie- und Baupreise, die Ankunft von mehr Geflüchteten und die Inflation konnte ich nicht mehr im Detail eingehen. Dies alles wird die Wohnungskrise weiter verschärfen. Hinzu kommt die Notwendigkeit, auch in Gebäuden mehr für den Klimaschutz zu tun. Wir sitzen auf einer tickenden Zeitbombe. Ich bin überzeugt: Wir müssen jetzt handeln! Und wir müssen uns entscheiden: Gehen wir den gleichen Weg wie London und Paris, in denen sich nur noch Besserverdienende eine Wohnung in der Innenstadt leisten können? Oder schaffen wir es, dass unsere Städte sozial gemischte, lebenswerte Städte für alle bleiben? Es geht um viel. Um nicht weniger als um die Zukunft unserer Städte, um den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Wenn wir nicht bald handeln, ist es zu spät.

Wohnen wird zum Luxusgut

Früher hatte ich ein WG-Zimmer in Berlin Kreuzberg. In einer Nachbarschaft, in der die Mieten jahrzehntelang günstig waren, in der Rentner*innen, Student*innen, Arbeiter*innen und sehr viele Migrant*innen lebten. Kreative aus aller Herren Länder bereicherten die Nachbarschaft: Für wenig Geld in einer Hauptstadt leben, wo geht das sonst? Doch in den Nullerjahren geriet die bunte Mischung unter Druck. Das unsanierte und regelrecht heruntergekommene Haus wechselte in kurzer Zeit mehrfach den Besitzer. Statt einer kaltschnäuzigen, aber immerhin erreichbaren Hausverwaltung im Berliner Westen hatte man es plötzlich mit Briefkastenfirmen zu tun, hinter denen dubiose Adressen standen. Das Haus gammelte weiter vor sich hin, Reparaturen wurden nicht erledigt. Aber Mieterhöhungen wurden versandt, alteingesessene Mieter*innen herausgeklagt, Inkassofirmen klopften an die Haustür. Zuerst waren diejenigen dran, die sich am wenigsten wehren konnten: verarmte Rentner*innen und Migrant*innen. Auf Kiezversammlungen erfuhr ich: Das ist kein Einzelfall. Der ganze Stadtteil war ins Visier internationaler Immobilienspekulation geraten.

Diese Erfahrung war mir eine Lehre und sie ist es bis heute. Als ich in den Bundestag gewählt und Bundesgeschäftsführerin meiner Partei wurde, forderte ich bereits 2011 eine »mietenpolitische Offensive«, um derart aggressive Entmietungspraktiken zu unterbinden und den Sozialen Wohnungsbau wieder anzukurbeln. Ich stieß damit zunächst auf wenig Gegenliebe, ja fast Unverständnis. Wohnungspolitik war zu dieser Zeit kein Thema. Im Bundestag wurde es bestenfalls im Schutze der Nacht verhandelt, es galt als unwichtiges Nebengleis. Ausschließlich aus den Metropolen Berlin, Hamburg, München und Frankfurt gab es Zuspruch, weil sich dort die Probleme häuften. Doch dann ging es Schlag auf Schlag. Wie ein Lauffeuer breiteten sich Spekulation und Mieterhöhungen in der ganzen Republik aus. Nur wenige Jahre später bekam ich Hilferufe aus Passau und Dinslaken, aus Schwäbisch Gmünd und Greifswald. Die Mietpreise in den Städten klettern steil nach oben. »Immobilienboom«, frohlockt die Finanzwelt. »Mietenwahnsinn«, sagen Aktivist*innen. Er hat das ganze Land erreicht. Wer sich eine neue Wohnung suchen muss, kann sich auf eine gesalzene Rechnung gefasst machen. In nur sechs Jahren, zwischen 2015 und 2021, stiegen die Preise für neue Mietverträge in Berlin um 44, in Heidelberg um 41 und im ohnehin schon teuren München um 32 Prozent. Das alles wäre verkraftbar – doch den exorbitanten Mietsteigerungen steht eine Steigerung der Bruttolöhne von grade einmal elf Prozent gegenüber. Am Ende des Monats zählt, was übrigbleibt. Der rasante Mietenanstieg bedeutet faktisch eine Lohnkürzung, eine schleichende Umverteilung von unten nach oben. Im Ergebnis muss ein immer größerer
Teil des Einkommens für Wohnen ausgegeben werden.

Wir empören uns heute gerne über die feudale Gesellschaft, in der die Grundstückspächter den Zehnten, also zehn Prozent des Einkommens, an den Fronherren abtreten mussten. Davon können Mieter*innen heute nur träumen. Die halbe Republik gibt bereits über dreißig Prozent des Einkommens fürs Wohnen aus. Es ist heute keine Seltenheit mehr, vierzig oder sogar fünfzig Prozent für das Wohnen zu bezahlen. Auch auf dem Wohnungsmarkt gilt: Die Schwächsten beißen die Hunde. Ärmere Haushalte geben heute entweder das ganze Geld für die Miete aus oder sie müssen einer wohlhabenderen Klientel weichen. In vielen Städten hat eine solche Verdrängungswelle schon stattgefunden, ist das innerstädtische Wohnen für Geringverdiener*innen nur noch dann leistbar, wenn sie einen alten Mietvertrag haben oder das Glück, in einer der wenigen Sozialwohnungen zu wohnen. Diejenigen mit mehr Geld verdrängen andere mit weniger Geld. Gentrifizierung wird das genannt. Längst sind auch die Mittelschichten dran: Wo früher Geld übrig war für Urlaub und Anschaffungen, vielleicht sogar ein Eigenheim, bleibt vielen nichts weiter übrig, als das halbe Leben für die Mietkosten zu malochen. Wohnen wird für immer mehr Menschen unbezahlbar. Wohnen ist nicht nur die soziale Frage unserer Zeit. Wohnen ist die neue Klassenfrage. Auch der Traum vom Eigenheim rückt in weite Ferne: Die Preise für Eigentumswohnungen stiegen seit 2015 um über 56 Prozent, die Preise für Häuser seit dem Jahr 2000 um 84 Prozent. Das Aufstiegsversprechen der alten Bundesrepublik, dass man sich mit harter Arbeit und bescheidener Lebensführung das eigene Häuschen erarbeiten kann, ist für viele dahin.

Diese Entwicklung schlägt sich im Stadtbild nieder. Sicherlich hat es schon immer Stadtviertel gegeben, in denen Arme, und andere, in denen die besser Betuchten gelebt haben. Tragisch ist, dass die Situation sich verschlechtert. Soziale Durchmischung war gestern. Das Gesicht ganzer Stadtteile wandelt sich, seitdem mit Wohnungen wie mit Waren gehandelt wird.

It’s the economy, stupid! Hinter der Mietenkrise steht das Kapital

Was steht hinter der rasanten Entwicklung der Mietpreise? Das beliebteste Erklärungsmuster ist: Immer mehr Menschen ziehen in die Städte. Ja, das tun sie. Nicht zuletzt, weil Arbeitsplätze und Infrastruktur in vielen ländlichen Regionen systematisch abgebaut wurden. Ein anderer Grund ist sicherlich, dass das Leben in der Großstadt kurze Wege, mehr kulturelle Angebote und mehr Freiheiten verspricht. Die sogenannte »Schwarmstadt- Studie«, die von der Wohnungswirtschaft in Auftrag gegeben wurde, war Stichwortgeber für eine weitverbreitete Theorie: Sie sieht eine zentrale Ursache für die aktuelle Wohnungsnot darin, dass gerade unter jungen Menschen ein Hype um bestimmte Städte entsteht. Kaum sei die neue Trendstadt ausgerufen, folgen Gleichaltrige wie die Lemminge denjenigen, die forsch vorangelaufen seien. Ein beliebtes Beispiel in diesem Zusammenhang ist immer wieder Leipzig, gerne auch Hype-zig genannt.

Ich leugne nicht den Zuzug vor allem junger Menschen in die Städte, insbesondere aus Ostdeutschland. Bedauerlicherweise wurde der Trend, in die Städte zu ziehen, politisch auch noch befördert. Allein in Sachsen wurden über tausend Schulen geschlossen und viele Hunderte Kilometer Bahnstrecken abgebaut, Jugendclubs, Kitas und Betriebe geschlossen. Der Gedanke, dass Lebensverhältnisse in Stadt und Land gleichwertig sein sollten, wurde in Frage gestellt. Ich unterstütze alle Bemühungen, das Leben im ländlichen Raum wieder attraktiver zu machen. Doch ich finde es geradezu perfide, wenn ausgerechnet diejenigen, die für den Abbau von Infrastruktur im ländlichen Raum verantwortlich waren – die sächsische CDU –, viele Jahre ihre Untätigkeit beim Neubau von Sozialwohnungen in Leipzig und Dresden mit dem hohen Leerstand auf dem Land gerechtfertigt haben.

Doch ist es alleine die Verstädterung, die die Preise in der Stadt ansteigen lässt? Unbestritten ist, dass zu wenig gebaut wurde, um den gestiegenen Zuzug unterzubringen. 2017 bis 2020 wurden im Schnitt weniger als 300 000 Wohnungen im Jahr gebaut, nur 50 davon vom Bund.
Was gebaut wurde, ging häufig am Bedarf vorbei. Neubau ist teuer. Nur ein Bruchteil der Neubauten ist für Durchschnittsverdiener*innen leistbar, die Mieten sind hier besonders hoch. 2014 standen 4,8 Millionen Haushalten mit kleinem Einkommen nur 2,9 Millionen bezahlbare Wohnungen gegenüber und seitdem dürfte es nicht besser geworden sein. Eine größere Rolle spielt jedoch die Tatsache, dass es immer mehr Single-Haushalte gibt: Die Bevölkerung wuchs in acht Jahren um 1,9, die Anzahl der Haushalte um 8,5 Prozent. Auf diese demographische Veränderung hat die Baupolitik bis heute nicht adäquat reagiert. 1,4 Millionen bezahlbare Wohnungen für Alleinstehende fehlen.

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Nachfolgend gibt es die Leseprobe auch als pdf