Hoyerswerdaerin sitzt seit einem Jahr im Berliner Parlament

30.09.2010
Mirko Kolodziej

Herbstlich-kalt ist es im Regierungsviertel der Berliner Republik. Eine Gruppe Asiaten im Anzug eilt zum Brandenburger Tor, im Tiergarten wird Laub geharkt, ein kleiner Junge macht Jagd auf Krähen und seine Mutter schimpft: „Stop it!“ Zwei Fensterputzer reinigen von außen die Glaskuppel des Reichstages. Im Saal E 200 des benachbarten Paul-Löbe-Hauses, einem der Bundestagsgebäude, beginnt der Sitzungstag von Caren Lay. Seit einem Jahr ist die 37-jährige Politikerin der Linken, die sich für den hiesigen Wahlkreis verantwortlich fühlt, Bundestagsabgeordnete. Der Politikbetrieb ist ihr nicht fremd. Sie war unter Renate Künast im Verbraucherschutz- und Landwirtschaftsministerium tätig. 2005 übernahm sie für den verstorbenen Landtagsabgeordneten Dietmar Jung den Wahlkreis Hoyerswerda.

In Saal E 200 tagt Arbeitskreis I der Linksfraktion. Es geht um technische Fragen des Parlamentsbetriebes. Caren Lay hört zu. Aber sie hat gleichzeitig ihren Laptop eingestöpselt, um E-Mails zu beantworten. Auf ihrem iPhone warten Kurzmitteilungen. „Der Tag hat ja nur 24 Stunden“, sagt die Abgeordnete. Ihre Berliner Büroleiterin Susanne Bartholmes schätzt, dass jeden Tag ein Papierstapel eintrifft, der etwa einen halben Meter hoch ist. Doch die Tage von Parlamentariern sind mit Terminen vollgestopft. Seit Caren Lay im Mai zur Bundesgeschäftsführerin der Linken gewählt worden ist, hat sie wöchentlich mehrfach auch noch in der Parteizentrale zu tun. Zeit zum Lesen muss also mehr oder weniger nebenbei und spätabends sein.

Reden für die KameraAls in Saal E 200 die Sprache auf die Rheintalbahn kommt, meldet sich Caren Lay: „Wir sollten die Diskussion nutzen, um auch auf andere nötige Projekte aufmerksam zu machen.“ So ist das in der Opposition: Es geht ums Themensetzen, um Symbole, ums Hinweisen auf Widersprüche. Die Regierung, so erklärt das Caren Lay, muss sich wenigstens mit dem vom politischen Gegner aufgebrachten Thema beschäftigen. Die Abgeordnete will beispielsweise einen Antrag gegen überhöhte Zinsen für Dispokredite einbringen. Leicht ist das nicht. Die Sache muss aus dem Abgeordnetenbüro zunächst in den Arbeitskreis. Von dort geht es in die Fraktion. Diese muss sie in den zuständigen Ausschuss einbringen und letztlich landet der Antrag dann irgendwann im Plenum. Mehrfach wird an Formulierungen gefeilt.

Auch deshalb ist es im Parlament oft so leer. Alle Themen sind unendlich oft besprochen. In der Regel ist auch klar, was die anderen Parteien auf ihrer Agenda haben. Die Rede im Plenum ist häufig nur eine für die Kamera. Caren Lay ficht das nicht an. „Ein Parlament dient ja auch der Meinungsbildung“, sagt sie. Sie hat inzwischen sieben Reden gehalten. Es war am 10. November vorigen Jahres gegen halb acht abends, als Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt sie erstmals aufrief: „Caren Lay hat jetzt das Wort für die Fraktion Die Linke.“ Es ging um Verbraucherpolitik. Es ist Caren Lays Hauptthema. Sie hat sich nicht darum gedrängt, hätte sich lieber um Arbeitsmarktfragen gekümmert. Aber das wollen bei der Linken alle. Wohl wegen ihrer Ministeriums-Erfahrung schien sie für Verbraucherschutz die Richtige.

In Caren Lays Spezialgebiet geht es um das Verbraucherinformationsgesetz, die Finanzmarktregulierung, die Kennzeichnung von Lebensmitteln oder den Schutz von Internet-Nutzern. Unter ihrer Federführung sind gerade eben verbraucherpolitische Leitlinien für die Linksfraktion fertig geworden. „So etwas hat es bei uns überhaupt noch nicht gegeben“, sagt anerkennend Dietmar Bartsch

Die nächste Sitzung: Caren Lay trifft in ihrem Büro im Jakob-Kaiser-Haus, einem anderen Parlamentsbau, mit ihrer Büroleiterin Susanne Bartholmes zusammen: Wann sind namentliche Abstimmungen? Wer will einen Termin? Was steht thematisch an? Gestreift werden unter anderem die Agrarförderung, kaputte Klimaanlagen in ICEs der Bahn oder das Sparpaket der Bundesregierung.

Es geht aber auch um Termine und Vorhaben im Wahlkreis, Sprechstunden unter freiem Himmel etwa. Und dann gibt es auch noch ein regionales Thema – die Fortführung der Braunkohlesanierung. „Darüber müssen wir noch einmal mit Partnern reden“, sagt Caren Lay. Ein Kalender an ihrer Bürowand zeigt einen Lausitzer Tagebau. Im Sommer hat sie eine Radtour durchs Seenland unternommen.

Der Wahlkreis, um den sich die per Liste ins Parlament gewählte Caren Lay eigentlich gar nicht kümmern müsste, soll nicht zu kurz kommen. Sie sagt, die Erdung sei für einen Parlamentarier wichtig, damit er im „Raumschiff Bundestag“ nicht abhebe. Sie erzählt von einem Besuch bei der Verbraucherzentrale in Bautzen: „Dort saß eine weinende alte Frau.“ Ein Telekommunikationsunternehmen hatte sie über den Tisch gezogen. „Da sieht man konkret, wie Politik wirkt“, sagt Caren Lay – oder eben auch nicht. „Im Verbraucherbereich sind viele Dinge noch unklar und die Politik sucht“, meint die Abgeordnete. Inzwischen sind zu ihr und Susanne Bartholmes auch Mitarbeiterin Suleika Reiners sowie zwei Verbraucher-Referentinnen der Fraktion gestoßen.

Keine Zeit fürs MittagessenEs geht um kostenlose Warteschleifen bei Hotlines, um Energiepreise oder auch um Sozialtarife bei der Bahn. Es gibt anscheinend viel zu tun. Doch die Fraktionssitzung im Reichstag beginnt und Caren Lay springt auf. Susanne Bartholmes trägt ihrer Chefin wenig später durch die unterirdischen Gänge, die die Bundestagsbauten verbinden, den Salat hinterher, den Caren Lay am Vormittag nach der Arbeitskreissitzung bei Butter-Lindner in der Wilhelmstraße gekauft hatte. Zeit für ein ordentliches Mittagessen wird nämlich wieder einmal nicht sein. Draußen vor dem Reichstag wird indessen seit Stunden die Besucherschlange nicht kürzer. Oben in der Kuppel gucken die Gäste staunend auf Berlin. Der Plenarsaal unten ist leer. Man könnte denken, die Parlamentarier lägen auf der faulen Haut. Doch Caren Lay hatte gesagt, bis 22 Uhr werde ihr Tag mindestens dauern. Susanne Bartholmes erzählt, in ihrem Mailfach finde sie nicht selten Post, die ihre Chefin erst weit nach Mitternacht abgeschickt hat.

Zu ihrer neuen Diskussionsrunde „Kaffee & Kuchen & Politik“ lädt Caren Lay für Donnerstag, den 4. 11. um 16 Uhr ins Bürgerbüro in der Hoyerswerdaer Bonhoefferstraße 4 ein.

http://www.lr-online.de/regionen/hoyerswerda/Hoyerswerdaerin-sitzt-seit-einem-Jahr-im-Berliner-Parlament;art1060,3086578

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Die Wohnungsfrage ist die soziale Frage unserer Zeit. Doch statt sie anzugehen, werden Fehlentwicklungen systematisch politisch gefördert. Wohnungen sind zu reinen Spekulationsobjekten verkommen. Hohe Nachfrage und sogenannte Zwangssanierungen lassen die Mieten explodieren und zwar nicht nur in den Großstädten, sondern auch im Umland. Menschen werden aus jahrzentelang gewachsenen, sozialen Strukturen gerissen, gentrifzierte Viertel zu Soziotopen der Besserverdienenden. Wie konnte es soweit kommen? Warum unternimmt die Politik so wenig, um Mietenwahnsinn und Spekulation endlich zu stoppen? Und was muss getan werden, damit Wohnen endlich wieder bezahlbar wird? Caren Lay nimmt die deutsche Wohnungspolitik der letzten 20 Jahre schonungslos unter die Lupe, zeigt auf, wie und warum Deutschland zum Eldorado für Wohnungsspekulation werde konnte, und liefert provokante Ideen für eine soziale Wohnungspolitik, die wir so dringend brauchen.

Erschienen bei Westend / 160 Seiten Leseprobe

Über mich
Ich bin Bundestagsabgeordnete und Sprecherin für Mieten-, Bau- und Wohnungspolitik sowie für Clubpolitik.