Gemeinschaftsgärtnern ohne Satzungsdebatte

Interview mit Svenja Nette, Prinzessinnengärten*

01.06.2014
Marco Clausen/flickr.com/CC BY-NC-SA 2.0

Was ist die Idee hinter den Prinzessinnengärten?

Die Prinzessinnengärten sind eine offene Plattform: Für Gemüseanbau in der Stadt, aber auch dafür, Leuten einen Interaktionsraum zu bieten, einen Raum für Bewusstseinsbildung über Anbau, und Lebensmittel. Es gibt ein Café, eine Küche, kulturelle Angebote, Werkstätten. Jeder ist eigeladen, Projekte umzusetzen. Es ist ein Projekt, in dem jeder einsteigen kann, auch ohne deutsche Muttersprache. Es geht um Partizipation und Teilhabe, um den Gedanken der Produktion von gesundem, frischem Essen in der Stadt mit kurzen Transportwegen, von Bewussteinsbildung. Urban Gardening ist das glückliche Treffen von sozialen und grünen Umständen.

Wie kam es zu der Idee?

Die Inspiration stammt aus Kuba. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion brach die industriealisierte Landwirtschaft in Kuba zusammen. Sie hat sich in Form von dezentralen Gärten in den Städten, als „urban farming“ neu erfunden. In Havanna werden 90% des Gemüses, das verzehrt wird, in der Stadt selbst angebaut. Das kann natürlich nicht einfach auf Städte wie London oder Berlin übertragen werden.

Aber die Idee der Gärten als sozialer Interaktionsort hat einer der Gründer der Prinzessinnengärten mitgebracht.

Wer darf mitmachen?

Jeder, der fragt.

Und wie läuft das in der Praxis?

Wir sind breit aufgestellt, aber das Level der Festigkeit ist weit gespannt. Wir haben inzwischen 12 Angestellte, die vorwiegend koordinieren. Es gibt einen weiteren Kreis von ca. 40 Leuten, die ihre Themen hier mit Leidenschaft umsetzen. Zusätzlich gärtnern ca. 1500 Leute pro Saison mit, die teilweise auch nur einen Tag kommen und fragen ob sie mithelfen können.

Wie entscheidet ihr?

Ungeordnet. Es gibt nicht die eine Entscheidungsform. Es gibt diverse Treffen. Alle, die ein Thema haben oder was entscheiden wollen, setzen sich hin und wir reden darüber. Es ist sehr selten dass wir eine Abstimmung machen müssen, eigentlich regelt sich alles im Gespräch. Die Verantwortung für verschiedene Bereiche suchen sich die Leute selbst und übernehmen sie auch.

Und da kann jeder mitmachen?

Das allgemeine Gartentreffen ist offen für jeden der dazu stoßen möchte.

Und was tut ihr bei Konflikten?

Meinungsverschiedenheiten gibt es natürlich häufig. Die werden irgendwie im Gespräch gelöst. Wenn wir beide einen Konflikt hätten, dann setzen wir uns hin und reden darüber. Grundvoraussetzung ist ein auf bestimmten Ebenen ähnliches Selbstverständnis von allen die mitgärtnern, sonst würde es nicht funktionieren.

Gibt es auch eine Satzung?

Ja, die gibt es. Wir sind formal eine gemeinnützige GmbH. Aber die Satzung regelt nicht unbedingt das Selbstverständnis der Mitwirkenden. Dadurch dass vieles freundschaftlich organisiert ist, regelt sich einiges selber.

Wem gehört der Garten?

Das Grundstück gehört mittlerweile dem Bezirk. Nach dem die Stadt es an einen Investor veräußern wollte, haben wir über 30.000 Unterschriften gesammelt, dann hat die Stadt Berlin es an den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg geben. Wir haben jetzt einen weiteren Fünfjahresvertrag.

Und wem gehören die Produkte, die hier angebaut werden?

Entweder sie gehen an die Küche, da werden sie verkocht und verkauft, oder sie werden zur Selbsternte ausgeschrieben. Wenn Du eine Zucchini brauchst, dann zeigen wir Dir wo sie wächst. Dafür gibt es einen Preis. Wer mithilft bekommt alles zum halben Preis.

Gibt es Leute, die nie säen und gießen, aber nur zum ernten kommen?

Das läuft auf Vertrauensbasis. Man geht zur Bar und sagt: „Ich bin Mitarbeiter“, dann bekommt man den Mitarbeiterpreis. Ich hoffe, da hat noch niemand gelogen.

Ist der Prinzessinnengarten ein hipper Satellit, der am Moritzplatz gelandet ist, oder gibt es auch Kontakt zu Leuten, die gegenüber in der Platte wohnen?

Da gibt es sogar ziemlich viele Kontakte. Gerade die, die regelmäßig kommen, sind unmittelbare Nachbarn.

Spielt der Commons-Gedanke bei euch eine Rolle?

Ja, das findet sich in unserem Grundsatz wieder, dass der Garten für alle offen und öffentlich zugänglich ist. Jeder kann reinkommen und den Garten nutzen und gestalten – sofern es dem Sinn des Gartens entspricht. Man kann den Garten als Plattform in der Stadt nutzen und das ist eine unglaubliche Kraft. Wie in vielen anderen Projekten erden eigentlich private Orte für öffentliche und eine nicht von oben gelenkte Nutzung geöffnet. Die Beteiligung hier hat niemand von oben geplant oder „für“ die Bürger gemacht. Ich finde es wichtig, dass Menschen sich selbst ausprobieren und einbringen können.

Was unterscheidet euch vom Schrebergarten?

Die Nicht-Privatheit. Wir haben keine eigenen Beete und keinen eigenen Kürbis. Unser Fokus liegt auf dem Miteinander und nicht auf dem eigenen Grün. Man kann ein gemeinsames Grün gestalten.

Und was unterscheidet euch von anderen Projekten des urban gardening?

Anders als viele Gründergärten sind wir teils wirtschaftlich ausgerichtet. Das ist debattierbar und wird auch debattiert. Es hat den Vorteil, dass wir die Prinzessinnengärten in Vollzeit und mit vielen Angeboten machen können. Die Umsätze werden zur Erhaltung des Gartens und für Stellen eingesetzt. Viele andere Projekte sind Vereine. Das hat andere Vor- aber auch Nachteile.

Das Interview führte Caren Lay

*Wo früher eine innerstädtische Brachfläche war, wuchert heute das Grün, gedeihen Kräuter und Kürbisse in mobilen Beeten. Die Prinzessinnengärten in Berlin-Kreuzberg sind eines der prominentesten Projekte von Urban Gardening, von nachhaltiger Landwirtschaft in den Städten. Sie wurden 2009 gegründet.

Dieser Artikel erschien in der Juni-Ausgabe 2014 im Prager Frühling. Die gesamte Ausgabe mit dem Schwerpunkt Commons kann hier eingesehen werden.

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Die Wohnungsfrage ist die soziale Frage unserer Zeit. Doch statt sie anzugehen, werden Fehlentwicklungen systematisch politisch gefördert. Wohnungen sind zu reinen Spekulationsobjekten verkommen. Hohe Nachfrage und sogenannte Zwangssanierungen lassen die Mieten explodieren und zwar nicht nur in den Großstädten, sondern auch im Umland. Menschen werden aus jahrzentelang gewachsenen, sozialen Strukturen gerissen, gentrifzierte Viertel zu Soziotopen der Besserverdienenden. Wie konnte es soweit kommen? Warum unternimmt die Politik so wenig, um Mietenwahnsinn und Spekulation endlich zu stoppen? Und was muss getan werden, damit Wohnen endlich wieder bezahlbar wird? Caren Lay nimmt die deutsche Wohnungspolitik der letzten 20 Jahre schonungslos unter die Lupe, zeigt auf, wie und warum Deutschland zum Eldorado für Wohnungsspekulation werde konnte, und liefert provokante Ideen für eine soziale Wohnungspolitik, die wir so dringend brauchen.

Erschienen bei Westend / 160 Seiten Leseprobe

Über mich
Ich bin Bundestagsabgeordnete und Sprecherin für Mieten-, Bau- und Wohnungspolitik sowie für Clubpolitik.