Ausufernde Kündigungen stoppen - Mieter*innen vor Kündigungen schützen

26.11.2020
Caren Lay, DIE LINKE: Ausufernde Kündigungen stoppen - Mieter*innen vor Kündigungen schützen

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Kanzlerin hat heute neue Coronamaßnahmen vorgestellt. Aber was darin fehlt - einmal wieder -, sind Hilfen für Mieterinnen und Mieter. Deswegen freue ich mich sehr, dass ein Bündnis von Mieterbund, von Gewerkschaften, von Sozialverbänden und Verbraucherzentralen gefordert hat, dass wenigstens ein neues Kündigungsmoratorium für Mieterinnen und Mieter kommt.

Ich finde, das ist das Mindeste: Niemand soll während der Pandemie seine Wohnung verlieren; erst recht nicht, wenn der Lockdown dazu führt, dass man eben keinen Job mehr hat oder weniger Einkünfte hat. Ich finde es einfach unverantwortlich, dass die Union dieses Thema seit Monaten aussitzt.

Wir als Linke wollen einen besseren Kündigungsschutz während der Pandemie, aber nicht nur da. Wir wollen an das Thema grundsätzlich heran. Warum? Ein paar Beispiele. Eine Familie aus Frankfurt mit drei Kindern erhält eine Eigenbedarfskündigung, als das vierte Kind unterwegs ist. Eine bezahlbare Wohnung für sechs Personen kurzfristig in Frankfurt zu finden, ist nahezu aussichtslos. Die junge Familie musste die Wohnung räumen und rutschte in die Wohnungslosigkeit.

Oder eine alleinerziehende Mutter in Stuttgart: Ihre Wohnung wurde an eine neue Eigentümerin verkauft. Diese forderte eine deutlich überzogene Miete. Als sich die Mieterin wehrte, wurde auch sie per Eigenbedarfskündigung herausgeschmissen. Am Ende zog aber nicht die neue Eigentümerin ein, sondern ein Mieter, der bereit war, den überzogenen Preis zu zahlen.

Meine Damen und Herren, die Mietervereine könnten mit solchen Beispielen von unfairen Kündigungen und vorgetäuschtem Eigenbedarf Bände füllen. Das können wir nicht länger akzeptieren.

Der Mieterbund geht inzwischen von 80 000 Kündigungen wegen Eigenbedarfs aus, und das in einem einzigen Jahr. Das ist die Größenordnung einer ganzen Stadt.

- Herr Luczak, Sie rufen dauernd dazwischen, ich darf Sie beruhigen: Wir als Linke wollen die Möglichkeit der Eigenbedarfskündigung nicht abschaffen. Aber dieser ausufernde Missbrauch ist das Problem, und das müssen wir endlich angehen.

Da waren auch die Gerichte in den letzten Jahren nicht besonders hilfreich. Allerlei Unrecht wurde da meiner Auffassung nach gesprochen. Eigenbedarfskündigungen wurde stattgegeben: wegen des Zweitwohnsitzes, weil ein Au-pair-Mädchen einziehen wollte, weil in der Wohnung ein nur gelegentlich genutztes Arbeitszimmer oder eine gelegentlich - zwei Wochen im Jahr - genutzte Ferienwohnung eingerichtet werden sollte. Aus all diesen fadenscheinigen Gründen verlieren Menschen ihr Zuhause und nicht selten ihr Dach über dem Kopf. Das können wir nicht akzeptieren.

Eigenbedarf wird nicht nur wegen der eigenen Kinder und Eltern - so weit, so gut -, sondern auch wegen der Neffen, wegen des Schwagers, wegen der Exfrau geltend gemacht oder auch dann, wenn ein Mitglied eines Unternehmens, einer GbR, für sich Eigenbedarf anmeldet. Das ist doch wirklich absurd.

Auch an anderer Stelle ist der Kündigungsschutz in Deutschland mangelhaft. Wenn ein Mieter Schulden beim Vermieter hat, kann er eine fristlose Kündigung abwenden, wenn er nachzahlt, eine ordentliche Kündigung, die dann gerne hinterhergeschoben wird, aber nicht. Das heißt, wer nur einmal nicht pünktlich gezahlt hat, fliegt heraus. Das kann nicht sein. Auch diese Gesetzeslücke müssen wir endlich schließen.

Und warum das Ganze? Lassen Sie uns doch auf die Gründe zu sprechen kommen. Wohnungskonzerne und Rentenfonds, Spekulanten und Glücksritter: Sie alle wollen ihr Geld auf Kosten der Mieterinnen und Mieter vermehren. Wo sonst kann man denn so hohe Renditen machen wie auf dem Mietwohnungsmarkt? Aber das Einzige, was bei diesem beispiellosen Beutezug stört, sind eben die Altmieter, also Menschen mit alten, mit günstigen Mietverträgen. Diese ausufernden Kündigungen haben System. Wir wollen dem einen Riegel vorschieben.

Deswegen wollen wir die Eigenbedarfskündigung auf die engsten Familienmitglieder im Hauptwohnsitz einschränken. Wer die Miete zurückzahlt, dem darf nicht gekündigt werden.

Die Möglichkeit, jemandem aufgrund eines Mietrückstandes von nur zwei Monaten zu kündigen, muss zukünftig ausgeschlossen werden.

Meine Damen und Herren, am unwürdigsten finde ich dieses ganze Kündigungssystem dann, wenn es um ältere Menschen geht, die wegen Ihrer unfairen Rentenpolitik ohnehin mit dem Rücken an der Wand stehen, und dem gleichzeitig ungebremsten Mietenwahnsinn in den Großstädten.

So musste eine 93-jährige Schlaganfallpatientin aus Bonn ihre Wohnung nach 30 Jahren wegen Eigenbedarfs räumen. Auch eine 80-jährige Demenzkranke aus Berlin darf aus ihrer Wohnung geschmissen werden. Einmal ganz im Ernst: Würden Sie Ihre Oma auf dem Mietwohnungsmarkt in Bonn oder in Berlin suchen lassen? Doch wohl kaum!

Deswegen, meine Damen und Herren, müssen wir auch diese vulnerablen Gruppen, müssen wir vor allen Dingen ältere Menschen besser schützen. Ich finde, so kann man mit den Leuten, die hart gearbeitet haben, die dieses Land mit aufgebaut haben, nicht umgehen. Diese Leute werden an ihrem Lebensabend aus ihren Wohnungen geschmissen. Das ist einfach unsozial. Deswegen sagen wir als Linke: Niemand, der über 70 ist, darf aus seiner Wohnung geschmissen werden.

Denn nicht umsonst heißt es doch im Volksmund: Einen alten Baum verpflanzt man nicht. - Das sollten wir uns zu Herzen nehmen und das Mietrecht endlich nachbessern.

Vielen Dank.

Buchempfehlung:
Buchcover

Die Wohnungsfrage ist die soziale Frage unserer Zeit. Doch statt sie anzugehen, werden Fehlentwicklungen systematisch politisch gefördert. Wohnungen sind zu reinen Spekulationsobjekten verkommen. Hohe Nachfrage und sogenannte Zwangssanierungen lassen die Mieten explodieren und zwar nicht nur in den Großstädten, sondern auch im Umland. Menschen werden aus jahrzentelang gewachsenen, sozialen Strukturen gerissen, gentrifzierte Viertel zu Soziotopen der Besserverdienenden. Wie konnte es soweit kommen? Warum unternimmt die Politik so wenig, um Mietenwahnsinn und Spekulation endlich zu stoppen? Und was muss getan werden, damit Wohnen endlich wieder bezahlbar wird? Caren Lay nimmt die deutsche Wohnungspolitik der letzten 20 Jahre schonungslos unter die Lupe, zeigt auf, wie und warum Deutschland zum Eldorado für Wohnungsspekulation werde konnte, und liefert provokante Ideen für eine soziale Wohnungspolitik, die wir so dringend brauchen.

Erschienen bei Westend / 160 Seiten Leseprobe

Über mich
Ich bin Bundestagsabgeordnete und Sprecherin für Mieten-, Bau- und Wohnungspolitik sowie für Clubpolitik.