Um zuhause zu bleiben, braucht es ein Zuhause!

17.12.2020
Caren Lay

Die Temperaturen sinken nachts schon wieder unter null Grad. Das bedeutet Lebensgefahr für mindestens 48.000 Menschen, die in Deutschland ohne Obdach auf der Straße leben. Diesen Winter kommt mit der Corona-Pandemie eine weitere große Gefahr für Wohnungs- und Obdachlose hinzu. Konnten Obdachlose früher wenigstens für ein paar Stunden Wärme und Schlaf in Sammelunterkünften finden, fällt diese Möglichkeit aufgrund der hohen Ansteckungsgefahr mit COVID-19 häufig weg. Wie sollen Menschen in Sammelunterkünften Abstand halten? Was passiert, wenn Obdachlose in Quarantäne müssen? Sammelunterkünfte boten nie wirklich die Möglichkeit zur Ruhe zu kommen und einen Neustart zu beginnen. Unter Pandemie-Bedingungen ist das vollends unmöglich. Ein beherztes Eingreifen, um Wohnungs- und Obdachlosigkeit zu beenden, ist dringend notwendig. Um zuhause zu bleiben, braucht es ein Zuhause. Alle brauchen jetzt ein sicheres Heim.

Die Berliner Sozialsenatorin Elke Breitenbach unterstützt deshalb Bezirke finanziell dabei, Hotels als Unterkünfte für Obdachlose anzubieten. Angesichts der finanziellen Einbußen durch die Einschränkungen beim Tourismus sind immer mehr Hotels dafür auch offen. Doch die reguläre Anmietung ganzer Hotels ist sehr teuer. Deutlich einfacher wäre es, wenn der Bund die Hotels, die Corona-Hilfen des Bundes bekommen, zur Hilfe verpflichten würde. So könnten die Finanzhilfen des Bundes an die Bereitschaft zur Aufnahme Obdachloser oder auch Geflüchteter gebunden werden. Auch die Beschlagnahmung leerstehender Wohnungen muss der Bund erleichtern. Die Wohnungs- und Obdachlosenhilfe muss darüber hinaus als „kritische Infrastruktur“ eingestuft werden, um die Versorgung mit präventiven Schnelltests und Hygieneausstattungen zu ermöglichen. Die solidarische Nutzung der leeren Hotels sowie auch von leerstehenden Wohnungen inklusive Hygieneausstattung wäre eine lebensrettende Hilfe für Menschen ohne Obdach im Corona-Winter.

Niemand darf in der Pandemie sein Zuhause verlieren

Die Bundesregierung hingegen hat für den Winter nicht einmal den Schutz vor Kündigungen erneuert, der von April bis Juni Kündigungen von Wohnungen aufgrund coronabedingter Zahlungsschwierigkeiten verhinderte. Wer aktuell seine Miete wegen finanzieller Einbußen nicht vollständig zahlen kann, muss während des Teil-Lockdowns mit einer Kündigung rechnen. Und sogar Zwangsräumungen werden derzeit noch vollstreckt. Es muss doch klar sein, dass niemand während der Pandemie sein Zuhause verlieren darf. Das Kündigungsmoratorium muss bis zum Ende der Pandemie gelten. Zwangsräumungen müssen komplett ausgesetzt werden.

Unabhängig von der Pandemie sollten grundsätzlich keine Zwangsräumungen in die Wohnungslosigkeit vollstreckt werden dürfen. Das ist ein Punkt des Konzepts zur Bekämpfung von Wohnungs- und Obdachlosigkeit, das die Fraktion DIE LINKE. im Bundestag im vergangenen Jahr vorgelegt hat (Bundestagsdrucksache 19/7459). Darin wird außerdem ein Wohnungsbauprogramm nach Wiener Vorbild gefordert. Leider sind die Ausgaben den Bundes für den sozialen Wohnungsbau in diesem Jahr noch gesunken. Sie wurden auch im Zuge der Bekämpfung der Folgen der Pandemie nicht angehoben. Aus Sicht der LINKEN soll der Bau von Sozialwohnungen sowie kommunalen, genossenschaftlichen und gemeinnützigen Wohnungen mit zehn Milliarden Euro jährlich gefördert werden. Dadurch soll der Bund Kommunen bei der Versorgung Wohnungsloser mit Wohnungen unterstützen und mehr Menschen ein bezahlbares Zuhause ermöglichen.

Housing-First-Prinzip

Für Obdach- und Wohnungslose ist eine Wohnung der wichtigste erste Schritt, um wieder Fuß zu fassen. Beim sogenannten "Housing first"-Ansatz werden daher Betroffenen zunächst die eigenen vier Wände zur Verfügung gestellt, damit die Ruhe und Kraft wiederkommt, das Leben anzupacken. Auch die Prävention des Wohnungsverlusts durch die Unterstützung von Fachstellen sollte vom Bund unterstützt werden, so eine weitere Forderung. Mietschulden sind die häufigste Ursache für Kündigungen. Die beste Prävention gegen den Wohnungsverlust sind also auch niedrige Mietpreise. Die Mietpreise sind viel stärker als bisher zu begrenzen – der Berliner Mietendeckel macht es vor.

Obdachlosigkeit in der EU bis 2030 zu beenden, forderte auch das EU-Parlament in einer Ende November verabschiedeten Resolution. Die EU-Parlamentarier*innen schlagen nationale Strategien gegen Obdachlosigkeit vor, wie sie die Fraktion DIE LINKE. im Bundestag vorgelegt hat. Die Bundesregierung sollte das dringend aufgreifen. Bisher versteckt sich der Bund hinter der Zuständigkeit von Ländern und Kommunen und versagt bei der Bekämpfung der Obdach- und Wohnungslosigkeit. Die Menschen ohne Obdach brauchen im Corona-Winter 2020 Sofortmaßnahmen und darüber hinaus eine bundesweite Strategie, um Obdachlosigkeit gänzlich zu beenden.

 

Für die Fraktion DIE LINKE. im Bundestag habe ich folgenden Antrag verfasst:

Zwangsräumungen verhindern, Obdachlose sicher unterbringen – Solidarisch durch den Corona-Winter

 

Buchempfehlung:
Buchcover

Die Wohnungsfrage ist die soziale Frage unserer Zeit. Doch statt sie anzugehen, werden Fehlentwicklungen systematisch politisch gefördert. Wohnungen sind zu reinen Spekulationsobjekten verkommen. Hohe Nachfrage und sogenannte Zwangssanierungen lassen die Mieten explodieren und zwar nicht nur in den Großstädten, sondern auch im Umland. Menschen werden aus jahrzentelang gewachsenen, sozialen Strukturen gerissen, gentrifzierte Viertel zu Soziotopen der Besserverdienenden. Wie konnte es soweit kommen? Warum unternimmt die Politik so wenig, um Mietenwahnsinn und Spekulation endlich zu stoppen? Und was muss getan werden, damit Wohnen endlich wieder bezahlbar wird? Caren Lay nimmt die deutsche Wohnungspolitik der letzten 20 Jahre schonungslos unter die Lupe, zeigt auf, wie und warum Deutschland zum Eldorado für Wohnungsspekulation werde konnte, und liefert provokante Ideen für eine soziale Wohnungspolitik, die wir so dringend brauchen.

Erschienen bei Westend / 160 Seiten Leseprobe

Über mich
Ich bin Bundestagsabgeordnete und Sprecherin für Mieten-, Bau- und Wohnungspolitik sowie für Clubpolitik.