Freiheit und Sozialismus

Offene Fragen diskutieren – Erfahrungen einbringen

06.04.2010
Caren Lay, Inga Nitz, Stefan Liebich

Vorschlag des Forum demokratischer Sozialismus für DIE LINKE Programmdebatte
Beschluss des 3. Bundestreffens des Forums demokratischer Sozialismus am 19.4.2008 in Berlin (Einstimmig / 4 Enthaltungen)

Links wirkt!

DIE LINKE bewegt das Parteiensystem in Deutschland. Schon in kurzer Zeit haben wir viel erreicht. Angefangen mit dem Kampf gegen Hartz IV und die Agenda 2010 haben wir erfolgreich dafür gesorgt, dass das Thema Mindestlohn auf der Tagesordnung bleibt. Wir haben die sozialen Folgen der Umverteilungspolitik von unten nach oben, der Privatisierungen, das ungerechte Steuersystem, der Rente mit 67 oder die Beteiligung Deutschlands am Krieg in Afghanistan deutlich kritisiert. Wir sorgen dafür, dass die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit wieder gestellt wird. Schon jetzt müssen Parteien und Regierungen antworten. Ein Politikwechsel hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit, Bürgerrechten und Demokratie, zu mehr Möglichkeiten der Emanzipation für alle Menschen im Lande ist näher gerückt.
Der Kampf um gesellschaftliche Veränderungen ist wichtiger als Programme auszuarbeiten. Dennoch: Je stärker wir werden, desto mehr werden wir nach unseren programmatischen Grundsätzen und Zielen, unseren politischen Konzepten gefragt. Auch für unser Selbstverständnis als Partei ist die Programmdebatte wichtig. Wir wollen eine breite und transparente Diskussion, die mit dem Leben verbunden ist. Wir wollen keinen Diskurs, der nur in Expertenkreisen stattfindet oder eine Spielwiese von Ideologen ist. Wir wollen die Debatte, da wo es notwendig ist, kontrovers führen und mit demokratischen Mehrheiten entscheiden, .
Mit den auf dem Gründungsparteitag der LINKEN beschlossenen programmatischen Eckpunkten haben wir wichtige Grundsätze formuliert und ehrlich noch offene Fragen benannt. Die PDS hat in ihrer Geschichte drei Programme verabschiedet und auch die WASG hat ein Gründungsprogramm beschlossen.
Diskutieren wir die offenen Fragen, nehmen wir auf bereits erstrittene Positionen Bezug und bringen wir unsere Erfahrungen ein. Wir fangen nicht beim Punkt Null an.

Demokratischer Sozialismus

Für uns ist der demokratische Sozialismus das Verbindende. Er vereint Freiheit und Sozialismus. Demokratischen Sozialistinnen und Sozialisten ist es wichtig, die demokratische und freiheitliche Tradition des Sozialismus zu betonen und sich klar von den autoritären und verbrecherischen Deformationen zu distanzieren. Das Jahr 2008 ist dafür ein guter Anlass. Vor vierzig Jahre wurden bei der Niederschlagung des tschechoslowakischen Versuchs, einen demokratischen Sozialismus aufzubauen, durch die Staaten des Warschauer Vertrags das Völkerrecht gebrochen, gewählte Repräsentanten verhaftet, verschleppt und schließlich zum Kotau vor den Moskauer Machthabern gezwungen. Für uns als demokratische Sozialistinnen und Sozialisten markiert der August 1968 vor allem das Ende eines hoffnungsvollen Versuchs einer demokratischen Erneuerung des Realsozialismus.
Vor vierzig Jahren entfaltete in Westdeutschland eine neue, eine antiautoritäre Linke ihre Wirkung, die den demokratischen Sozialismus als notwendige Alternative zum staatstragenden Reformismus der SPD und gleichzeitig zum Realsozialismus und Staatskommunismus verstand. Auch die westdeutsche Geschichte der Linken ist in ihrer Widersprüchlichkeit zu diskutieren. So fasste die SPD-Führung 1961 einen Unvereinbarkeitsbeschluss, der SDS-Mitglieder und -Sympathisanten aus der Partei ausschloss, in dem gleichen Jahr als Willy Brandt das erste Mal Kanzlerkandidat wurde. 1968 schloss der SDS selbst die „Kommune I“ aus seinen Reihen aus.
Eine deutliche Abgrenzung zu allen autoritären Versuchen, Sozialismus ohne Demokratie durchzusetzen gehört für uns unbedingt in das Programm einer glaubwürdigen modernen LINKEN.
In unserer neuen Partei arbeiten Mitglieder miteinander, die ihre Wurzeln u.a. in der SED, der SPD, der undogmatischen Linken, bei den Grünen, in trotzkistischen, maoistischen oder kommunistischen Parteien oder Bewegungen haben. „Die politische und die gesellschaftliche Wirkungsmächtigkeit der neuen LINKEN wird davon bestimmt, dass sie in Kenntnis der Geschichte sozialistischer, sozialdemokratischer, kommunistischer und anderer linker Parteien und ihrer Lehren die programmatischen Grundlagen für einen demokratischen Sozialismus entfaltet“ heißt es hierzu im Leitantrag des Parteivorstands unserer Partei an den nächsten Bundesparteitag, was wir sehr begrüßen.
Es ist an der Zeit, das als offene Frage formulierte Verhältnis von sozialen und individuellen Bürgerrechten zu beantworten: Wir wollen beides. Mehr noch: „Elementar ist für uns die Unverletzlichkeit der Menschenrechte und universeller demokratischer Grundsätze. Wir vertrauen weder auf die Allmacht des Profits noch auf die des Staates. Die neue LINKE setzt auf Freiheit und Gleichheit aller Bürgerinnen und Bürger, auf ihre Selbstbestimmung und auf demokratische Mehrheiten für sozial gerechte Regeln einer lebenswerten Gesellschaft.“ (Leitantrag des Parteivorstands)
Wir wollen keine weltanschaulichen Einengungen. Offenheit ist für eine pluralistische Partei wichtig. Zugleich ist Klarheit gefordert. Wenn es um demokratischen Sozialismus geht, dann geht es gleichermaßen um Bewegung, Ziel und um ein Wertesystem. Wir wollen in einem transformatorischen Prozess die Gesellschaft so verändern, dass die Dominanz des Profits zurückgedrängt und schließlich überwunden wird. Wir wollen nicht nur Reparaturen, sondern eine neue Gesellschaft, in der die Emanzipation eines jeden Menschen gewährleistet ist. Bis dahin ist der Weg noch weit.

Die Welt, in der wir leben

In der Analyse der heutigen Welt und unserer Gesellschaft sind in den programmatischen Eckpunkten wichtige Wertungen formuliert worden. Wesentlich ist die Auseinandersetzung mit dem Neoliberalismus bzw. mit dem Marktradikalismus. So heißt es in den Eckpunkten„Der Neoliberalismus tritt im Namen von mehr Freiheit an, doch werden alle Lebensbereiche der Kapitalverwertung und insbesondere der Steigerung der Aktienkurse auf den Finanzmärkten unterworfen.“ Herausgearbeitet wird, dass neoliberale Kräfte den Sozialstaat zugunsten eines repressiven Wettbewerbsstaates abbauen, es sich um eine unsolidarische Politik und eine Politik der Deregulierung handelt.
Zwei Probleme sollten aber bei der Programmdiskussion stärker beachtet werden: Zum einen befindet sich der Neoliberalismus in Deutschland in einer Legitimationskrise. Darauf reagieren die anderen politische Kräfte. DIE LINKE muss auch in Zukunft dazu beitragen, neoliberale bzw. marktradikale Ideologien und Politik zurückzudrängen. Programmatisch muss sie aber mehr sein als nur eine „antineoliberale Kraft“, denn unsere Vorstellungen von einem demokratischen Sozialismus gehen über eine Rückkehr zu dem Sozialstaat vor dem neoliberalen Sozialabbau hinaus. Zum anderen wird der „Neoliberalismus“ oft nur als Kampfbegriff gegen alle diejenigen verwendet, die andere Vorstellungen von der Gestaltung gesellschaftlicher Bereiche haben oder gegen diejenigen, die auf den Markt als wichtiges ökonomisches Steuerungselement nicht verzichten wollen. Dadurch wird der Blick für Differenzierungen getrübt. Die heutigen entwickelten kapitalistischen Gesellschaften weisen beträchtliche Unterschiede auf, beispielsweise zwischen den USA und den wohlfahrtsstaatlich organisierten skandinavischen Ländern. Wir ziehen unseren Impuls aus dem Widerspruch zwischen den Chancen, die hochentwickelte Industrienationen hätten und der Tatsache, dass sie durch neoliberale Deregulierung verspielt werden.
Zum einen halten wir eine deutlichere Positionierung zu der weit fortgeschrittenen Globalisierung für erforderlich. Viele Probleme werden allzu leichtfertig damit erklärt. Es ist an uns, darauf hinzuweisen, dass es sich nicht um eine Naturkatastrophe handelt, sondern politische und wirtschaftliche Entscheidungen die Ursache sind. So lassen sich die Prozesse, vor allem die Internationalisierung des Kapitals, kaum zurückdrehen. Auch das Eintreten neuer Großmächte wie China und Indien – neben den entstandenen neuen mittleren Mächten – in den Weltmarkt, lässt sich nicht aufhalten. Das Agieren großer Staatskonzerne und Staatsfonds bringt neue Probleme mit sich. Viele Verwerfungen sind nicht „an sich“ der Globalisierung geschuldet, sondern der Art und Weise, wie sie erfolgt. DIE LINKE sollte deutlicher sagen, dass Regulierungen der ökonomischen Macht und der internationalen Finanzmärkte notwendig sind. Nur national zu reagieren, reicht nicht aus. Unter dem Motto „Eine andere Welt ist möglich!“ müssen u. a. die internationalen Institutionen, vor allem die ökonomischen, deutlich reformiert werden. Soziale Standards und Wirtschaftsdemokratie, wie wir sie wollen, lassen sich nicht mehr national gestalten. Der Globalisierung der Märkte setzen wir die internationale Zusammenarbeit der Akteure und die Entwicklung gemeinsamer sozialer und ökologischer Standards entgegen.
Eine Antwort auf die Globalisierung ist die demokratische, soziale und zivile Ausgestaltung Europas, vor allem der Europäischen Union. Diese Ebene sollte in unserem Programm nicht an den Rand gedrängt werden. Es werden in der LINKEN oft die Nachteile der EU, ihre neoliberale Wirtschaftsstrategie und ein „Zwang zur Aufrüstung“ konstatiert. Die Idee der Europäischen Union für ein integrierendes friedliches Europa wird dabei häufig vergessen und vieles in Frage gestellt, was in Europa erreicht wurde. Es muss darum gehen, die Wirtschaftspolitik der EU zu ändern, Sozialstandards festzulegen, Sozialdumping zu verhindern, eine friedliche Entwicklung voranzutreiben, sowie mehr Demokratie durchzusetzen. Ein „Zurück zum Nationalstaat“ lehnen wir ab. Die Veränderung der Europäischen Union ist deshalb ein linkes Projekt!

Für eine neue soziale Idee

In den programmatischen Eckpunkten treten wir für ein „Bündnis gegen den Neoliberalismus“ ein. Das ist wichtig, aber auf Dauer nicht hinreichend. Wir brauchen eine positive Bestimmung dessen, wofür wir sind, was wir mit anderen progressiven Kräften durchsetzen wollen. Dabei müssen wir die neuen Bedingungen der Globalisierung, der neuen Produktivkräfte und der Veränderungen in der Arbeitswelt, der Dramatik der ökologischen Frage und des demografischen Faktors in Rechnung stellen. Wir sehen es als unsere Aufgabe an, den sozialpolitischen Rollback zurück zu nehmen und gleichzeitig auf Zukunftsanforderungen zu reagieren. Die Antworten auf die Herausforderungen von heute liegen dabei vor, nicht hinter uns. Wir haben im Wahlkampf 2005 eine „neue soziale Idee“ versprochen. Es ist an der Zeit, sie zu entwickeln, sie politisch auszuformulieren und somit unser Wahlversprechen einzulösen.

1. Solidarische Sicherungssysteme von allen für alle

Wir stehen für einen demokratischen, emanzipatorischen Sozialstaat, der jedem Menschen ein Leben frei von Armut und Abhängigkeit und in Selbstbestimmung ermöglicht. Neben dem konsequenten Streiten gegen die Umverteilung von unten nach oben wollen wir mit einem erweiterten Ansatz für die Sozialpolitik die Emanzipation und Integration aller Menschen erreichen. Das deutsche Sozialstaatsmodell ist in vielen Regelungen durch das konservative Leitbild des Alleinernährers geprägt. Entsprechende sozial-, steuer- und rentenpolitische Regelungen wollen wir überwinden und durch individuelle Ansprüche und eine repressionsfreie, existenzsichernde Grundsicherung ersetzen. Wir wollen die sozialen Sicherungssysteme ausbauen. Eine Bürgerversicherung muss jedem Menschen, der aufgrund von Erwerbslosigkeit, Familienarbeit, Rente, Pflegebedürftigkeit oder aus anderen Gründen kein Erwerbseinkommen hat, eine Existenzsicherung bieten bzw. einen optimalen Gesundheitsschutz für alle gewährleisten. Dies verlangt im Umkehrschluss, dass alle in die öffentliche Versicherungen einzahlen. Um eine nachhaltige Finanzierung der soziale Sicherungssysteme sicherzustellen, wollen wir weiter diskutieren, wie eine Entkopplung vom Faktor Arbeit funktionieren kann, da sie Beschäftigte und arbeitsintensive Betriebe über Gebühr belastet. Die Einbeziehung aller Einkommensarten in die Finanzierung stellt einen ersten Schritt in diese Richtung dar. Die Privatisierung der Altersabsicherung ist der falsche Weg.

2. Öffentlich geförderte Beschäftigung und Arbeitszeitverkürzung

Die LINKE muss sich dem Wandel der Arbeitswelt stellen. Die Umverteilung von Arbeit etwa durch eine Arbeitszeitverkürzung und die Schaffung öffentlich geförderter Beschäftigung bleiben wichtige Projekte der LINKEN, ebenso wie die Stärkung der Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Gemeinsam mit den Gewerkschaften müssen wir uns der Frage stellen, wie die Vertretung von Arbeitnehmerrechten in einer flexibilisierten Arbeitswelt gestärkt werden kann – insbesondere in Branchen, die wie der Bereich der Medien durch befristete Verträge und Freiberuflertum geprägt sind.
Wir sollten Antworten erarbeiten zu solchen Fragen, wie: Was heißt Mitbestimmung und Demokratie unter sich gravierend verändernden Arbeitsbedingungen heute?

3. Moderne linke Familienpolitik

In der aktuellen familienpolitischen Diskussion spielt DIE LINKE nicht die Rolle, die sie einnehmen könnte. Dies ist zum einen auf überbewertete Äußerungen Einzelner zurückzuführen, zum anderen der Tatsache geschuldet, dass die Verabschiedung vom Alleinernährermodell nicht ausdiskutiert und dem Einsatz für Betreuung und Bildung in Kindertagesstätten nicht als profilbildend für DIE LINKE voran gestellt wurde. Wir wollen einen Paradigmenwechsel in der Familienpolitik, der sich am Kindeswohl orientiert, unabhängig davon, wie die Eltern des Kindes leben. Der Stärkung frühkindlicher Bildung und der Vermeidung von Kinderarmut kommt dabei oberste Priorität zu.

4. Bildung für alle

Bildungspolitik sollte in Praxis und Programm der Partei DIE LINKE eine deutlich stärkere Rolle spielen. DIE LINKE steht für Chancengleichheit in der Bildung. Bildung als Grundrecht ist nicht nur die Voraussetzung dafür, erfolgreich einen Beruf zu ergreifen. Für uns ist Bildung ein Menschenrecht und ist ein wichtiger Schlüssel zur selbstbestimmten gesellschaftlichen Teilhabe. Deshalb wollen wir die soziale Ausgrenzung in unserem Bildungssystem überwinden.
Für die Familien gebührenfreie Kitaangebote vom ersten Lebensjahr an, gemeinsames Lernen mindestens bis zur zehnten Klasse und für die, die es wollen bis zum Abitur, statt eines überholten dreigliedrigen Schulsystems und ein Studium ohne Studiengebühren, dafür aber an demokratisch verfassten Hochschulen, in denen die Statusgruppen paritätisch mitentscheiden können, das sind unsere Ziele. Eine innere Bildungsreform, die sich an den Zielen Motivation, Kreativität und Innovation orientiert, ist längst überfällig. Sie wird Kindern mehr Spaß am Lernen bereiten und sie außerdem besser auf die Anforderungen der Wissens- und Informationsgesellschaft vorbereiten.

5. Sozial-ökologischer Umbau der Gesellschaft

Eine zukunftstaugliche LINKE muss es ernst meinen mit dem sozial-ökologischen Umbau der Gesellschaft. Klimaschutz und der Erhalt einer gesunden, lebenswerten Umwelt sind konstitutiv für ein modernes, linkes Profil. Die Verstaatlichung der Stromnetze und die Trennung von Netz und Betrieb reichen dabei alleine nicht aus. Wir wollen den Ausstieg aus der Stromgewinnung aus Atom und von Braun- und Steinkohle konsequent betreiben und setzen stattdessen auf erneuerbare Energien und die effiziente Sekundärenergienutzung. Der dazu notwendige Wandel in den bisher vom Bergbau geprägten Regionen soll ökologisch und sozial ausgewogen gestaltet werden.

6. Zivilgesellschaft und Staat

Der Staat ist wichtig als Schutz für Bürgerinnen und Bürger gegenüber dem ungehemmten Markt. Staatliches Handeln ist auch die Widerspigelung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse. Linkes politisches Agieren ist vor allem auf die Stärkung der Zivilgesellschaft vor Ort gerichtet. Sie ist gleichzeitig eine Alternative zu neoliberaler Deregulierung. Zivilgesellschaftliches Engagement ist wichtig für die Demokratisierung und für die Herausbildung einer gerechteren und lebenswerteren Gesellschaft. Dem bevormundenden Staat setzen wir ein modernes Gemeinwesen entgegen, das mündigen Bürgerinnen und Bürgern soziale Teilhabe und demokratische Mitgestaltung ermöglicht. Die Demokratisierung von Staat und Kommunen, den Selbstverwaltungsgremien, Aufsichtsrat- und Kontrollgremien, die Stärkung von Bürger-, Verbraucher- und Patientenrechten sind Themen für DIE LINKE.

7. Sicherung der Daseinsvorsorge

Die Sicherung der öffentlichen Daseinsvorsorge und der Kampf gegen ihre Privatisierung ist ein Markenzeichen unserer Politik. Das sollten wir programmatisch auch festschreiben.
Soziale Standards für die Beschäftigten müssen vorbildlich sein und auch die Leistungen für die Nutzerinnen müssen Vorteile gegenüber privaten Unternehmen bieten.
Wir sollten aber stärker betonen, dass es beim öffentlichen Eigentum auch darauf ankommt, dass es tatsächlich demokratisch kontrollierbar wird und nicht nur wirtschaftlich effizient geführt wird, sondern dass auch klar wird, wozu es öffentlich ist. Wir brauchen eine konstruktive Debatte um Inhalt, Funktion und Gestaltungsweise des öffentlichen Eigentums. Im Programm der PDS hieß es: Es kommt darauf an, „die Verfügungsgewalt im Interesse des Allgemeinwohls zu stärken“, Wir wollen eine transparente Darstellung von Subventionen und Mittelverwendung. Es muss klar sein, was mit wie vielen Mitteln subventioniert wird. Und wir müssen für eine bessere Finanzausstattung der Länder und Kommunen kämpfen.

8. Den Osten nicht abhängen – Linke Strukturpolitik erarbeiten

Auch fast zwanzig Jahre nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten ist das Lebensniveau der absoluten Mehrheit der Ostdeutschen deutlich niedriger als das der Westdeutschen. Von einer Angleichung der Lebensverhältnisse kann keine Rede sein. Die Arbeitslosigkeit ist nach wie vor doppelt so hoch, die Löhne hingegen deutlich niedriger. Viele Regelungen, wie der deutlich niedrigere Wert der Rentenpunkte Ost und andere diskriminieren Ostdeutsche. Deshalb sollten die Probleme der neuen Bundesländer nach wie vor ein Thema in unserer Programmatik sein. Es geht dabei auch um die gleichberechtigte Teilhabe der Ostdeutschen an der Gestaltung der Gesellschaft auf gleicher Augenhöhe. Aber auch das Verhältnis zwischen Metropolen und ländlichem Raum in Ost und West und Veränderungen, die wegen des demographischen Wandels notwendig werden gehören auf die Tagesordnung. Strukturpolitik muss ein Thema für DIE LINKE werden.

9. Demokratisierung der Wirtschaft

Die Eigentumsfrage ist bei Linken eine Kernfrage für die soziale Gestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse. Aus den bitteren Erfahrungen mit der sozialistischen Planwirtschaft der DDR hatte sich die PDS in ihrem ersten Programm von 1990 schon klar für eine „am Gemeinwohl und an dem Wohl jedes Einzelnen orientierte Marktwirtschaft“ ausgesprochen. Gesellschaftlichem Eigentum wurde – bei einer Eigentumsvielfalt – ein wichtiger Platz eingeräumt. Im Chemnitzer Programm der PDS wird erklärt, dass die Alternative zum kapitalistischen Eigentum nicht im allumfassenden Staatseigentum liegt. Auch DIE LINKE will den Markt nicht abschaffen. „Alternative Wirtschaftspolitik ist gestaltende Politik. Sie zielt auf ein starkes Gewicht sozialstaatlicher Politik gegen deren Unterordnung unter Marktzwänge“ heißt es in den programmatischen Eckpunkten unserer Partei. Dabei ist uns „die Förderung von Genossenschaften und anderer Formen solidarischer Ökonomie“ wichtig. Linke Wirtschaftspolitik geht über keynesiansche Ansätze hinaus und bedarf einer deutlichen Profilierung.
Wir müssen erklären, nach welchen ökonomischen Gesetzmäßigkeiten diese Bereiche agieren sollen. Es gibt national und international viele Beispiele dafür, wie sowohl staatlich als auch privatrechtlich organisierte Monopole versagen. Die Kernfrage ist, wie die Dominanz wirtschaftlicher Macht über Politik und Gesellschaft vermieden werden kann. Hier sind verschiedene Mittel und Methoden notwendig, von der stärkeren Wettbewerbskontrolle, über Mitbestimmung, demokratisch-politischer Einflussnahme, der Stärkung der Verbrauerrechte und zur Bewahrung und Ausweitung öffentlichen Eigentums.. Es geht vor allem um die Demokratisierung von Verfügungsmacht, national, europäisch und international.

Unser Platz und unsere Perspektive

Unser Land ist in Bewegung geraten. Die Gesellschaft – in West wie Ost – versichert sich nach den tiefgreifenden Veränderungen der letzten zwei Jahrzehnte jener Basis an Institutionen, Werten und Regeln, die sie nicht weiter unterhöhlen lassen oder gar preisgeben will. Es geht um das, was die Gesellschaft ausmacht.
Die LINKE ist Symbol, Produkt und Katalysator dieser gesellschaftlichen Verständigung. Der Auftakt des Jahres 2008 hat deutlich gemacht: Die LINKE ist in Deutschland eine gesellschaftliche Kraft geworden – dem muss sie, dem müssen die anderen sich stellen.
Die LINKE in Ostdeutschland und im Saarland schickt sich an, der SPD der Agenda 2010, der Umverteilung von unten nach oben und der völkerrechtswidrigen Kriegseinsätze der SPD die Rolle als der großen linken Volkspartei streitig zu machen. Die sozialdemokratische Partei tut sich schwer mit der Bewältigung des Erbes der rotgrünen Regierungszeit. Insbesondere gegenüber der LINKEN ist sie bundesweit in der Defensive.
Dieser Situation, diesen Aufgaben wollen und müssen wir gerecht werden. Arbeiter und Arbeitslose haben sich bei Wahlen in Bund und Land bereits besonders unserer Partei zugewandt. Angehörige der sozial bedrohten Mittelschichten setzen ihre Hoffnungen auf uns. Die kritischen Bildungseliten, die in den nötigen Umbruchprozessen eine wichtige Rolle spielen werden, haben hohe Erwartungen an eine politisch wirksame moderne LINKE.
Die LINKE muss es mit ihrem Auftreten und ihrer Politik schaffen, den Zusammenhang von berechtigten materiellen Interessen der sozial Benachteiligten, des Teils der Gesellschaft, der als „unten“ gilt und den emanzipatorischen Interessen aufgeklärter, mit den modernen Produktivkräften verbundener abhängig Beschäftigter oder auch kleiner und mittlerer Selbständiger herzustellen und zu leben.
Wir wollen Standards von sozialer Gerechtigkeit wiederbeleben und etablieren, sowie öffentliche und individuelle Verantwortung in Politik und Gesellschaft wahrnehmen – als Maßstab für alle demokratischen Kräfte und als Ansatzpunkt für neue politische Mehrheiten.
Wir streiten für ein Programm, das sich ebenso in die Tradition der Arbeiterbewegung wie auch der neuen sozialen Bewegungen stellt. Wir wollen dass die Themen der Frauen- und Umweltbewegung, der Lesben- und Schwulenbewegung, dem Kampf für Bürger- und Freiheitsrechte sowie die Integration von Menschen mit Behinderungen und Migrantinnen und Migranten im Programm der neuen LINKEN ihren Niederschlag finden. Das gleiche gilt für globalisierungskritische und entwicklungspolitische Ansätze. Feministische Politik ist für uns ein Querschnittsthema, das wir nicht als Nebenwiderspruch abtun wollen.
Wir sind offen für alle, die daran mitarbeiten wollen. Unsere Rolle ist dabei die einer integrierenden, offensiven, gestaltungswilligen und gestaltungsfähigen demokratisch-sozialistischen Partei. Unterschiedliche Bewegungen und Organisationen haben häufig unterschiedliche Lösungsvorschläge für gesellschaftliche Probleme. Unsere Partei ist gefordert zu diskutieren und dann stimmige und eindeutige Konzepte vorzulegen, auf deren Grundlage wir im Bündnis mit anderen wirken.
Die LINKE ist aus unserer Sicht mehr als eine Protest-Partei. Ein großer Teil der Bevölkerung meint, dass wir wichtige Probleme der Menschen ansprechen, aber nur ein kleiner Teil meint, dass wir auch entsprechende Lösungsvorschläge hätten. Diese Diskrepanz gilt es schrittweise zu schließen. Fordern kann man sehr viel. Wir sollten die Debatte nicht so führen, dass diejenigen, die am lautesten fordern, am meisten bekommen. Wenn wir Glaubwürdigkeit in der Politik anmahnen, sollten wir dies nicht vergessen. Es geht um den inneren Zusammenhang unserer Positionen. Es geht darum, welchen Beitrag wir leisten können, um die Gesellschaft nachhaltig zu verändern und auf eine neue, entwicklungsfähige Basis zu stellen. Die Programmdebatte sollte dazu dienen, unsere Politikkonzeption zu verdeutlichen.
Wir demokratischen Sozialistinnen und Sozialisten haben dabei eine Menge Erfahrungen einzubringen. Verschaffen wir ihnen Gehör.

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Die Wohnungsfrage ist die soziale Frage unserer Zeit. Doch statt sie anzugehen, werden Fehlentwicklungen systematisch politisch gefördert. Wohnungen sind zu reinen Spekulationsobjekten verkommen. Hohe Nachfrage und sogenannte Zwangssanierungen lassen die Mieten explodieren und zwar nicht nur in den Großstädten, sondern auch im Umland. Menschen werden aus jahrzentelang gewachsenen, sozialen Strukturen gerissen, gentrifzierte Viertel zu Soziotopen der Besserverdienenden. Wie konnte es soweit kommen? Warum unternimmt die Politik so wenig, um Mietenwahnsinn und Spekulation endlich zu stoppen? Und was muss getan werden, damit Wohnen endlich wieder bezahlbar wird? Caren Lay nimmt die deutsche Wohnungspolitik der letzten 20 Jahre schonungslos unter die Lupe, zeigt auf, wie und warum Deutschland zum Eldorado für Wohnungsspekulation werde konnte, und liefert provokante Ideen für eine soziale Wohnungspolitik, die wir so dringend brauchen.

Erschienen bei Westend / 160 Seiten Leseprobe

Über mich
Ich bin Bundestagsabgeordnete und Sprecherin für Mieten-, Bau- und Wohnungspolitik sowie für Clubpolitik.